Feuerflut
Insel explodieren wird. Sie werden uns so lange hier festhalten, bis sie ihre Flucht organisiert haben.«
Wie aufs Stichwort ließ auf einmal Hubschraubergeknatter die Fensterscheiben erzittern. Ein mittelgroßer Transporthubschrauber schoss über die Lodge hinweg auf die Wiese hinaus. Die beiden vierblättrigen Rotoren drückten das Gras platt, als der Pilot zwischen den Felsen nach einem sicheren Landeplatz Ausschau hielt.
Die Maschine ist unsere letzte Chance, dachte Gray.
»Seht!«, rief Seichan. »Dort drüben, bei den Felsen. Wir haben Gesellschaft bekommen.«
Gray riss den Blick vom Helikopter los. Aus der Richtung, wo der Rauchpilz der TNT-Explosion in den Himmel stieg, kamen weitere Söldner angelaufen. Vorneweg ein Mann mittleren Alters in Zivilkleidung: Wanderstiefel, wetterfeste Hose und dicke, offene Jacke. Er drückte sich einen Rucksack an den stattlichen Bauch. Ihm folgten zwei Männer mit einer Trage, die mit kleinen Steinkästen beladen war.
Offenbar hatten sie den Zugang zum Inselschatz freigelegt. Falls Gray noch Zweifel gehabt hatte, so zerstoben sie, als er auf den Kästen einen Goldschimmer ausmachte. Einer der Soldaten forderte den Hubschrauberpiloten mit hektischen Handbewegungen dazu auf zu landen.
Sie wissen ganz genau, dass die Insel in Kürze in die Luft fliegen wird.
Das Geräusch von Stiefeln lenkte Gray ab. Monk kam atemlos herbeigestürzt. »Ich habe mich hinter dem Haus umgesehen. Dort scheint alles sauber zu sein.«
»Es muss schnell gehen. Sie ziehen bereits ihre Leute ab.«
Monk nickte. »Ich habe den Helikopter gesehen.«
»Dann sollten wir’s versuchen.«
Gray vergewisserte sich, dass jeder wusste, was er zu tun hatte. Ollie und Monk postierten sich an den vorderen Fenstern, während er mit Seichan zur Hintertür lief.
»Hoffentlich weiß der alte Mann, wovon er redet«, meinte Seichan.
Davon hing ihr Leben ab. Ollie lebte seit sechzig Jahren auf der Insel. Wenn jemand deren Geheimnisse kannte, dann er.
Gray und Seichan stürmten durch die Tür auf die sonnenbeschienene Wiese hinaus und rannten geduckt weiter. Durch die Lodge waren sie vor den Blicken der Söldner geschützt. Gray wandte sich zu einer kleinen Erhebung auf der Wiese. Ollie hatte ihn darauf hingewiesen und ihm die örtlichen Gegebenheiten genau geschildert. Trotzdem wäre er beinahe in die offene Grube gestürzt, als er um die Erhebung bog.
Seichan riss ihn zurück und hielt ihn fest. Bei der Erhebung handelte es sich um eine erstarrte Lavablase, die an der Innenseite hohl war. Über diese Seite war auch der Ursprung der Blase zugänglich: ein Lavakanal. Inmitten des zerklüfteten, geborstenen Basaltgesteins klaffte eine Tunnelmündung, die Ähnlichkeit hatte mit einem Mund voll Zahnlücken.
Ein Trümmerhaufen erleichterte ihnen den Einstieg in den Kanal. Gray schaltete die Taschenlampe ein. Die Wände waren glatt, der Tunnel breit genug für eine Person, aber so niedrig, dass man den Kopf einziehen musste.
»Mir nach«, sagte Gray und schritt eilig aus.
Ollie zufolge führte der Tunnel unter der Lodge zu einer kleinen Höhle in der Mitte der Wiese. Die Höhle war eine Art Kreuzung. Ein zweiter Tunnel führte zur gegenüberliegenden Seite der Wiese und an die Oberfläche. Der Verwalter hatte ihnen in aller Eile eine Übersichtskarte gezeichnet. Gray hatte sich den Weg eingeprägt und erinnerte sich noch an die Beschreibung des Trawlercaptains: Ein hartes Stück Schweizer Käse, von Wind und Regen ausgehöhlt. Hier konnte man sich leicht verirren – und sie hatten keine Zeit, Fehler zu machen.
In weniger als einer Minute hatten sie eine hohe Höhle erreicht. Der Boden war mit großen Steinbrocken bedeckt. Sie traten in Regenpfützen, es roch nach Moder und Salz. Gray drehte sich um die eigene Achse und schaltete die Taschenlampe aus. Es gab ein halbes Dutzend Ausgänge. Auf der Karte hatte Ollie nur vier eingezeichnet.
Gray, dem das Herz bis zum Hals schlug, ging zurück zur Mündung des Lavakanals, hielt sich dicht an der Wand und spähte in jede Öffnung. Ollie hatte ihn angewiesen, den zweiten Gang auf dieser Seite zu nehmen. Die erste Öffnung war nichts weiter als ein Spalt. Er leuchtete hinein. Nach ein paar Metern wurde es eng. Zählte der? Oder hatte Ollie ihn ausgelassen, weil das kein richtiger Tunnel war?
Gray eilte weiter. Der alte Verwalter hatte auf ihn den Eindruck eines vernünftigen, praktisch denkenden Menschen gemacht. An diesem von Wind und Wasser gegerbten Mann gab es
Weitere Kostenlose Bücher