Feuerflut
handgefertigten Kirschmöbel im Richelieu-Stil, dem Wellness-Bad aus Carraramarmor, den flämischen Tapeten im Stil des siebzehnten Jahrhunderts. Die deckenhohen Fenster boten einen atemberaubenden Ausblick auf die gepflegten Gartenanlagen des Hotels und die entfernteren Berge.
Ein gedämpftes Schluchzen dämpfte seine gute Laune.
Er wandte sich zu dem mageren jungen Mann um, der splitternackt auf einen der Richelieu-Stühle gefesselt war. Klebeband verschloss ihm den Mund. Rotz lief ihm aus der Nase. Er schniefte laut, die Augen geweitet und glasig wie die eines verletzten Fuchses.
Doch er war kein Fuchs.
Er war Rafes Falke … ein Falke, den er jagen geschickt hatte.
In der Akte über Kai Quocheets waren auch ihre Kontaktpersonen und ihre Mitgliedschaft bei WAHYA aufgelistet, den wilden jungen Wölfen, die für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner kämpften. Er hatte keine Stunde gebraucht, um herauszufinden, wo sich der Leiter der Organisation versteckt hatte. Er war nach Salt Lake City gekommen, weil er dem Ort des Geschehens nahe sein und sich bereithalten wollte, wenn die Verwicklung von WAHYA aufgedeckt wurde. John Hawkes aber hatte auch noch andere Interessen. Bernd hatte ihn in einem Stripklub in der Nähe des Flughafens aufgestöbert. Der Indianer bevorzugte anscheinend hellhäutige, blonde Frauen mit üppigen falschen Brüsten.
Ein Wimmern drang hinter dem Klebeband hervor.
Rafe hob den Zeigefinger. »Geduld, Mr. Hawkes. Wir werden uns gleich um Sie kümmern. Sie waren ausgesprochen kooperativ. Aber zunächst möchte ich mich vergewissern, dass die Jagd erfolgreich verlaufen ist.«
Es hatte nicht viel gebraucht, um John Hawkes für ihr Vorhaben zu gewinnen. Zwei seiner Finger wiesen zur Decke. Ashanda hatte sie ihm so beiläufig gebrochen wie Reisig. Rafe mit seinen spröden Knochen kannte diesen Schmerz. Im Laufe seines Lebens hatte er sich jeden einzelnen Finger und jeden Zeh gebrochen.
Nicht immer unabsichtlich.
Als Mr. Hawkes zur Zusammenarbeit bereit war, erzählte er ihnen alles, was sie wissen mussten, um eine Mail an Kai zu verfassen, die dazu gedacht war, das flüchtige Vögelchen wieder einzufangen. Offenbar hatte es funktioniert.
Viel schneller als erwartet …
Er hatte ihr für die Antwort auf die verschickte E-Mail eine Deadline bis Mittag gesetzt. Offenbar ließ sie nichts anbrennen. Das war auch seine Devise.
»Sir, wir haben die E-Mail entschlüsselt«, meldete der Computerfachmann des Teams.
Rafe wandte sich zu dem Mann um. Der Techniker wurde einfach nur TJ genannt – Rafe hatte sich nie die Mühe gemacht, sich zu erkundigen, wofür die Initialen standen. Der Mann war Amerikaner und häufig high von Aufputschmitteln, die es ihm erlaubten, tagelang an einem Stück zu programmieren. Der Experte stand vor mehreren kleinen Servern, die durch Cat-6-Kabel miteinander vernetzt und über einen T2-Zugang ans Internet angeschlossen waren.
Rafe verstand wenig davon. Für ihn zählten nur Ergebnisse.
»Der Text wird jeden Moment auf Ihrem Notebook angezeigt werden, Sir. Wir verfolgen die IP-Adressen zurück, lokalisieren die Sat-Knoten, sieben Server-Verbindungen und entwirren die Paketpfade mit einem Killer-Algorithmus.«
»Finden Sie einfach raus, wo die Mail abgeschickt wurde.«
»Wir arbeiten dran.«
Der Pluralis Majestatis veranlasste Rafe, mit den Augen zu rollen. TJ war nichts weiter als ein besserer Assistent. Der wahre digitale Magier saß mitten zwischen den vernetzten Geräten. Ashandas lange Finger tanzten ebenso flink und elegant über die drei Tastaturen wie die eines Konzertpianisten über die Tasten seines Flügels. Sie aber orientierte sich nicht an einem Notenblatt, sondern am scrollenden Programmcode. Auf einem zweiten Monitor bildeten Serverknoten und Gateway-Protokolle ein dichtes Netz, das eine digitale Weltkarte umspannte. Nichts konnte sie aufhalten. Vor ihr kippten die Firewalls wie Dominosteine.
Rafe trat vor sein Notebook hin und nahm sich Kai Quocheets’ Nachricht vor. Als er dieses Gemisch aus Teenager-Angst und verletzten Gefühlen durchlas, tippte er sich an die Unterlippe. Ihre leidenschaftliche Selbstentblößung weckte bei ihm einen Anflug von Mitgefühl. Er blickte zu John Hawkes hinüber. Auf einmal bekam er Lust, dem Mann einen dritten Finger zu brechen. Er hatte seine Mitstreiter ausgenutzt, sich ihren jugendlichen Überschwang zunutze gemacht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten andere die Folgen ihres Tuns ausbaden müssen,
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