Feuerflut
während er selbst den Ruhm einheimste.
Das war einfach nur schlechtes Management.
TJ machte Rafe mit einem Pfiff auf sich aufmerksam. Er sah Ashanda über die Schulter. »Ich glaube, sie hat’s geschafft!«, sagte er aufgeregt. »Sie hat die letzten Türen geöffnet!«
Rafe ging hinüber und schob TJ beiseite. Er wollte den Moment des Erfolgs mit Ashanda teilen.
Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Na los, zeig’s mir …«
Sie ließ nicht erkennen, ob sie ihn gehört hatte. Sie befand sich in ihrer eigenen Welt, wie ein Künstler im Schaffensrausch. Das hier war ihr Medium. Es hieß, wenn ein Mensch ein Sinnesorgan verlor, kompensierte er den Mangel. Die Computer waren Ashandas neues Sinnesorgan, eine digitale Erweiterung ihrer Persönlichkeit.
Er streichelte ihren Arm, betastete die Narben, die sie rituellen Praktiken ihres Heimatstamms zu verdanken hatte. Als sie in jungen Jahren aufs Schloss gekommen war, waren die Narben dicker gewesen. Jetzt konnte er sie nur noch mit den Fingerspitzen ertasten, wie Blindenschrift.
»Sie hat es fast geschafft!«, sagte TJ atemlos.
Ashanda neigte sich ganz leicht Rafes Wange entgegen. Er spürte die Wärme ihrer Haut. Niemand verstand ihre Beziehung. Er hatte selbst keine Worte dafür, und für sie galt das gewiss auch. Von Anfang an waren sie unzertrennlich gewesen. Sie war sein Kindermädchen, seine Betreuerin, seine Schwester und Vertraute. Schon sein ganzes Leben lang war sie der stille Brunnen, der seine Hoffnungen, Ängste und Wünsche in sich aufnahm. Im Gegenzug schenkte er ihr Sicherheit und ein sorgenfreies Leben – aber auch Liebe und manchmal sogar Sex, wenn auch nur selten. Er war impotent, eine Folge der Glasknochenkrankheit. Offenbar war sogar sein knochenloses Glied davon in Mitleidenschaft gezogen.
Er betrachtete ihre Hände, die über die Tasten flogen. Er dachte daran, wie sie in intimen Momenten bisweilen seine Finger bog, ihn in der Schwebe hielt zwischen Schmerz und Ekstase, bis die Knochen brachen. Masochismus war das nicht. Im Schmerz lag eine Art Reinheit, die er als befreiend empfand. Sie lehrte ihn, seine körperliche Schwäche nicht zu fürchten, sondern sie anzunehmen, sie in einen ursprünglichen Quell lustvoller Empfindungen zu verwandeln, die ihm allein vorbehalten waren.
Sie seufzte kaum hörbar.
»Sie hat es geschafft!«, jubelte TJ und riss die Arme hoch wie ein Fußballfan bei einem Tor.
Rafe beugte sich so weit vor, dass sich ihre Wangen berührten. »Gut gemacht«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Gebannt blickte er auf den Bildschirm. Die digitale Weltkarte hatte an Umfang zugenommen, und die leuchtenden grünen Linien trafen sich an einem Punkt in Utah. Als er seinen eigenen Namen auf dem Bildschirm sah, musste er über die glückliche Fügung lächeln.
»San Rafael« , sagte er. Seine Stimmung hob sich noch mehr. »Na, das ist ja großartig.«
Er wandte sich zu John Hawkes um.
Der Mann beobachtete ihn mit aufgerissenen Augen.
»Sieht so aus, als könnten wir unseren Jagdfalken jetzt entbehren«, brummte er.
Er ging zum nackten Hawkes hinüber, der angstvoll aufstöhnte. Er war dem Mann eine kleine Anerkennung für seine Dienste schuldig – in diesem Fall eine Lektion in gutem Management, was dem Burschen völlig abging.
Rafe trat vor ihn hin und legte ihm den Arm um den dünnen Hals. Im Film wirkte es immer so mühelos, wenn jemandem der Hals gebrochen wurde, doch in Wahrheit war es gar nicht so einfach. Er benötigte drei Versuche. Doch es war eine gute Lektion. Hin und wieder musste sich auch der Chef die Hände schmutzig machen. Das war gut für die Arbeitsmoral.
Er trat zurück und wischte sich die wohlverdienten Schweißperlen von der Stirn.
»Jetzt, da das geklärt ist …« Rafe streckte den Arm nach Ashanda aus. »Sollen wir weitermachen, mon chaton noir?«
22
31. Mai, 15:19
Im Luftraum über Elliðaey, Island
GRAY KLAMMERTE SICH hinter dem Pilotensitz fest, Seichan war neben ihm. Sie hatte die eine Hand in seinen Unterarm gekrallt, einerseits vor Angst, andererseits um sich festzuhalten.
Der Helikopter taumelte dem feurigen Verderben entgegen. Die brüllenden Rotoren bemühten sich vergeblich, die Maschine in der Luft zu halten. Rauchwolken wogten vor dem Cockpitfenster, heiße Partikel prasselten wie Hagel gegen die Außenwand. Der Motor saugte diese Partikel an, was seine Leistung noch weiter minderte.
Der Pilot kämpfte mit der einen Hand mit dem runden Steuerknüppel zwischen seinen Beinen
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