Feuerfrau
Wohnküche gestellt worden waren. Ein Geruch nach warmem Wachs und brennenden Kerzen lag in der Luft; ein Geruch, der mich an eine Kirche erinnerte. Martin ließ seine blauen Augen vergnügt umherschweifen.
»Wie hübsch und interessant! Ich war noch nie in einem solchen Haus.
Frage doch mal, ob ich fotografieren kann.«
»Nun warte doch«, sagte ich etwas schroffer, als ich beabsichtigt hatte.
»Du kannst diese Leute doch nicht so vor den Kopf stoßen.«
»Sag ihnen, ich zahle gerne dafür.«
»Willst du unsere Gastgeber beleidigen?«
»Das war nicht meine Absicht«, erwiderte er, ehrlich überrascht.
Inzwischen kam Anghelina mit einem Tablett, auf dem zwei winzige Tassen Kaffee standen. Dazu ein Krug Wasser und zwei Gläser, in denen zwei Löffel mit einer kandierten Aprikose steckten.
»Was ist das?« fragte Martin. »Oh, eine kandierte Frucht. Du kannst meine haben. Ich mag keine Süßigkeiten…«
Ich sagte auf Englisch zu ihm:
»Wenn du die ›Süße vom Löffel‹ verweigerst, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn sie dir die kalte Schulter zeigen. Das ist ein uraltes Zeichen der Gastfreundschaft.«
»Ulkige Gewohnheit!« meinte Martin. »Woher kommt sie?«
Ich fragte Anghelina. Sie erklärte bereitwillig, daß der Brauch auf Zeiten zurückging, da man die Tempelschlangen mit Honig lockte. Und auch die Toten wurden mit Honig bewirtet.
»Soll das ein Witz sein?« fragte Martin perplex.
Anghelina blinzelte schelmisch.
»Die Toten und die Schlangen waren heilig. Und da wir umsichtige Leute waren, empfingen wir die Gäste mit großem Respekt. Man wußte ja nie, ein Fremder konnte sowohl ein verkleideter Fürst als auch ein Gott sein. Und wenn man sie nicht gut behandelte, rächten sie sich mit Blitz und Hagel.«
»Heutzutage höchstens mit einem bösen Brief an den Verkehrsverein«, meinte Martin.
Anghelina brach in schallendes Gelächter aus, während ihre Mutter mit geradem Rücken auf einem Stuhl saß; ihre Hände waren im Schoß gefaltet
– dieselbe Geste, fiel mir plötzlich auf, wie Eleni sie auch hatte. Wir schlürften den starken Kaffee, tranken das klare, kühle Wasser. Ich ließ die wunderbar süße Aprikose auf der Zunge schmelzen; Martin schluckte die seine mit verkniffenem Gesicht. Inzwischen trat Anghelina vor die Haustür und schickte einen kleinen Jungen zu Stavros. Dieser kam einige Minuten später, in abgetragener Kleidung und Gummistiefeln, die er vor der Tür stehenließ. Er begrüßte uns, wusch sich langsam und bedächtig die Hände, bevor er sich zu uns setzte. Anghelina stellte Wein von eigenen Trauben auf den Tisch, dazu Mandeltörtchen, Selbstgebackenes. Sie brachte auch Demetria ein Glas. Wir sprachen von Eleni; ich zeigte die Bilder welche die alte Frau inzwischen aus der Hand gelegt hatte. Ich hatte auch Geschenke mitgebracht: Parfüm für Anghelina, einen Schal aus schwerer, dunkelblauer Seide für Demetria und französischen Tabak für Stavros. Die Großmutter lächelte glücklich mit ihrem zahnlosen Mund; ihre knochigen Finger strichen immer wieder über die schwere, kühle Seide. Anghelina tupfte sich sofort Parfüm hinter die Ohren und beugte sich lebhaft vor, um ihren Mann den Duft riechen zu lassen. Stavros meinte, gutmütig lächelnd, daß ihm dieser Duft nach den Gerüchen im Kuhstall eine Ahnung vom Paradies der Erzengel verschaffe, worauf Anghelina sich vor Lachen schüttelte. Ihre ansteckende Fröhlichkeit hob Stavros’ Ruhe noch deutlicher hervor. Er bewegte sich gemessen, sprach mit tiefer Stimme ein sehr gutes, langsames Französisch. Sein struppiges Haar war mit grauen Strähnen durchzogen.
Sein Gesicht mit den schweren Zügen kam mir wie eine Skulptur vor, die vom Regen in Fels verwandelt wurde. Ich erzählte von Eleni und Jorge, von ihren erfolgreichen Gastspielen. Stavros hörte aufmerksam zu; schließlich nickte er.
»Als Sophia noch am Leben war, erzählte sie uns, wie Eleni als Kleinkind in der Wiege schlief und plötzlich eine Biene um ihr Gesicht summte. Sophia beobachtete sie und wartete ab, was die Biene wohl tun würde. Sie setzte sich auf Elenis Lippen. Sophia scheuchte sie nicht weg, und das kleine Mädchen schlief ruhig weiter. Nach einer Weile flog die Biene davon. Da wußte sie, daß die Biene ihre Tochter geküßt hatte.«
Ich starrte ihn an. Erst jetzt merkte ich, daß Stavros seine Stimme in der Weise der Leute gebrauchte, die es gewohnt sind, daß man ihnen zuhört.
Eine schwingende Stimme, ruhig und wohltuend, klar wie
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