Feuerfrau
Stavros. »Es begann am 21. Mai, bei Sonnenaufgang, mit Waschungen in der Heiligen Quelle; Körper und Geist wurden in Einklang gebracht, kein eigennütziger Gedanke zugelassen. Man ging in der Gemeinschaft auf, wie ein Tropfen in einem Fluß. Aber«, fuhr Stavros mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme fort, »seitdem hat der Brauch sich geändert; heute tauchen die Mitglieder der Gemeinschaft lediglich ihre Hand in ein Becken mit Weihwasser. Am Abend beginnt die erste Tanzandacht. Früher dauerte sie bis zum Morgengrauen, in der heutigen Zeit nur bis Mitternacht. Dann teilen wir ein genügsames Mahl: Brot, verschiedene Getreidearten, Trockenobst.
Getrunken wird nur Quellwasser. Am nächsten Tag wird ein Stier geopfert und sein Fleisch an die Bruderschaft verteilt. Spät in der Nacht, nach dem Lauf durch das Feuer, treffen wir uns für ein zweites, diesmal üppigeres Mahl, bei dem Fleischgenuß erlaubt ist. Wir fühlten diese Änderungen ungern ein«, setzte Stavros, langsam nickend, hinzu, »aber wir müssen mit der Zeit gehen. Viele von uns müssen frühzeitig wieder zur Arbeit. Ein Brauch kann nur bestehen, wenn er sich modernen Lebensformen anpaßt.«
Anghelina schenkte uns ihr anmutiges Lächeln.
»Wir laden euch ein, unsere Freude zu teilen. Unser Haus ist bescheiden, aber laßt es das Eure sein, und wir sind glücklich.«
»Was für eine wundervolle Sprache diese Menschen sprechen!« sagte ich, an Martin gewandt. »Sie möchten, daß wir die Nacht hier verbringen.
Ich meine, wir sollten annehmen. Unsere Sachen sind ja im Hotel gut aufgehoben.«
Martin dankte höflich und unverbindlich; ich merkte, daß er von dem Vorschlag nicht begeistert war. Die beiden Griechen lächelten; ihr Ton, ihre Haltung zeigten, daß auch sie sich nicht täuschen ließen. Flüchtige Röte überzog Martins Gesicht. Vor diesen schlichten Bauern fühlte er sich merkwürdig unsicher; ihre Aufrichtigkeit schien von Herzen zu kommen.
Doch aus irgendeinem Grund war er nervös, wie ein Schuljunge, der befürchtet, sich durch eine Unwissenheit lächerlich zu machen. Er mochte auch die Spannung wahrnehmen, die immer stärker von mir Besitz ergriff.
Und sie beunruhigte ihn noch mehr als das andere.
Er warf einen Blick auf die Uhr.
»Wann geht es denn los?«
Seine Stimme klang zwanglos; aber ich merkte, daß er das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Statt ebenfalls auf die Uhr zu schauen, blickte Stavros aus dem Fenster, maß mit den Augen die Schärfe des Sonnenlichtes. Er nickte, brachte seinen schwerfälligen Körper mit erstaunlicher Geschmeidigkeit auf die Beine.
»Ja, es wird Zeit. Trinkt euren Wein in Ruhe aus. Ich gehe mich umziehen und bin gleich wieder da.«
Die alte Frau saß immer noch auf ihrem Stuhl. Anghelina sprach leise zu ihr, half ihr, sich aufzurichten. Nach dem Wein sah sie ein wenig besser aus, aber sie schien jetzt schläfrig zu sein und schwankte leicht auf den Beinen.
Anghelina mußte sie halten. Sie lächelte uns heiter zu, ihre goldenen Ohrringe warfen kleine Funken.
»Die Leute werden bald eintreffen. Ich habe Mutter Demetria ihre Tablette mit dem Wein gegeben. Ich bringe sie jetzt zu Bett und komme, sobald sie schläft. Inzwischen wird euch Stavros die ›Konaki‹ zeigen.«
Sie streckte den Arm aus, damit die alte Frau die Hand darauf legen konnte, und führte sie behutsam an uns vorbei, in ein kleines Nebengemach. Durch die offene Tür zeichnete sich der Schatten der Möbel auf dem Steinboden ab. In der Schlafnische stand ein eisernes Bettgestell, mit einem gehäkelten Überwurf. Unter einer Ikone brannte ein rotes Nachtlicht.
14. KAPITEL
E in paar Minuten später war Stavros wieder da. Er trug einen schwarzen Anzug, der fast aus den Nähten platzte, ein Hemd mit unmodernem Kragen und eine Krawatte in schreienden Farben. Jeder, der nicht über seine Würde verfügte, hätte in dieser Aufmachung eine schlechte Figur gemacht; Stavros sah imposant aus. Er lud uns mit einer Handbewegung ein, ihm zu folgen. Ein schmaler, weißgetünchter Gang führte zu einer Tür, die Stavros ohne jedes Geräusch öffnete. Neben der Tür stand ein großes Tongefäß, mit Sand gefüllt, in dem einige dünne Kerzen brannten. Stavros reichte uns zwei Kerzen aus einer Schachtel. Er gab uns zu verstehen, wir sollten sie anzünden und in den Sand pflanzen.
Martins Lippen kräuselten sich spöttisch; doch er vollführte ebenso wie ich die heilige Handlung. Stavros sah aufmerksam zu; nichts entging
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