Feuerfrau
sei.
»Leider versteht er kein Griechisch«, setzte ich hinzu.
Anghelina neigte das Haupt mit großer Würde, reichte ihm ihre schmale, braungebrannte Hand und wechselte sofort auf Französisch über.
»Wenn unser Fest zu Ihnen spricht, soll es auch das Ihre sein.«
Ich staunte über diese schlichte und zugleich feierliche Begrüßung und gleichzeitig über die Sprache, wie sie Dichter vergangener Zeiten sprachen.
Auch Martin schien von ihrer Wesensart gefesselt. Anghelina benahm sich nicht, wie er es von einer einfachen Bauersfrau erwartet hatte. Da war etwas, das ihn tiefer berührte. Ich merkte es an der Art, wie er sie aufrichtig ansah und dabei unsicher lächelte. Manchmal gerieten Menschen, die sowenig von der unsichtbaren Welt wußten, an jene gelassene, vornehme Selbstsicherheit, die vielleicht nur aus dem Rhythmus der Natur entstand.
Und das war etwas sehr Verwirrendes.
Munter und unbefangen plauderte Anghelina weiter.
»Seid ihr zu Fuß durch das Dorf gekommen? Ach, das ist ein großer Umweg. Ihr hättet gleich hier vor dem Haus parken sollen. Bleibt nicht draußen in der Hitze stehen! Die Sonne brennt stark um diese Jahreszeit.
Mutter Demetria!« rief sie auf Griechisch. »Wir haben Besuch.«
Die schwarzgekleidete, spindeldürre Frau, die sich im Hintergrund aufhielt, stellte den Fernseher aus und schlurfte uns entgegen. Sie trug nicht das in Griechenland übliche Kopftuch, und ihr rosa Schädel schimmerte durch das schüttere Haar. Ihr Gesicht war blaß wie Lehm, ihre Lippen blutlos. Sie starrte mich aus wäßrigen Augen an, die einmal schwarz und scharf gewesen sein mußten.
»Hat dich Sophia geschickt? Was sagt sie? Wann kommt sie endlich zurück?«
Ein paar Sekunden lang war ich verwirrt; Anghelina gab mir durch einen Blick zu verstehen, daß die alte Frau nicht mehr ganz bei Verstand war.
»Mutter Demetria, du weißt doch, daß Sophia nicht mehr lebt. Ariana ist die Freundin von Eleni.«
»Eleni?«
»Sophias Tochter. Deine Enkelin. Sophia hatte einen Franzosen geheiratet. Er hieß Sacha und war Schauspieler. Wir haben doch ein Foto von ihm, mit Widmung.«
Eine schwache Flamme leuchtete in den verschwommenen Augen auf.
»Der Schauspieler? Ja, ich entsinne mich. Ich habe ihn im Kino gesehen. Ein schöner Mann! Und reich noch dazu. Was für ein Glück für Sophia, daß er sie geheiratet hat! Dann ist es also seine Tochter, die Musik macht? Warum kommt er nicht mal mit dem Kind zu Besuch?«
Anghelina hob die Augen zur Decke.
»Mutter Demetria, Sacha ist schon lange tot. Eleni ist achtundzwanzig Jahre alt und eine verheiratete Frau. Und sie war letzten Sommer hier.«
»Sie hat mir Fotos mitgegeben«, sagte ich lächelnd.
Ich holte die Bilder aus meiner Tasche und reichte sie der alten Frau. Sie schlurfte zum Fenster, hielt die Fotos weit vor die blinzelnden Augen, wie alte Leute es zu tun pflegen.
»Eleni«, murmelte sie vor sich hin. »Ja, ich erkenne sie. Merkwürdig, daß sie so blond ist. Aber blonde Mädchen kamen in unserer Familie manchmal vor. Erinnerst du dich an meine Schwester Drusilla, Anghelina?
Drusilla war genauso blond wie Eleni.«
»Wie sollte ich mich an Drusilla erinnern?« rief Anghelina zurück. »Als ich geboren wurde, war sie ja längst auf dem Friedhof!«
Sie schüttelte den Kopf, nahm liebevoll meinen Arm und lächelte Martin zu.
»Setzt euch! Macht es euch bequem! Wollt ihr nicht die Schuhe ausziehen? Stavros ist noch bei den Kühen, aber er wird gleich kommen.«
Wir setzten uns in zerschlissene Sessel, auf deren Kopf lehnen selbstgehäkelte Spitzendeckchen von wunderbar feiner Machart lagen.
Inzwischen hatten sich unsere Augen an das Zwielicht gewöhnt. Wir befanden uns in einer Wohnküche mit einem rauchgeschwärzten Kamin und einem altmodischen Herd. Die Wände waren weiß getüncht, die Decke aus Holz. An den Balken hingen Kränze von Quitten, Granatäpfeln und wohlriechenden Kräutern, Salbei, Minze, Thymian. Unter dem Fenster war ein primitiver Spülstein angebracht, der offenbar die einzige Waschgelegenheit war. Ich hatte schon festgestellt, daß sich der Abort nach alter Sitte im Garten befand, in einem Bretterhäuschen mit Wellblechdach.
Die Exkremente wurden als Dung verwendet.
In der Wohnküche stand ein Eßtisch mit Stühlen und einer Sitzbank.
Der kleine runde Glastisch und die Polstermöbel waren dicht an den Anrichteschrank geschoben. Man hatte das Gefühl, daß die Möbel in einen anderen Raum gehörten und nur vorübergehend in die
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