Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Boden berührte. Dann hob er die Arme, zog langsam die rotsamtene Hülle von der Ikone, die in der Mitte stand. Sie war sehr alt, die Farben bereits verdunkelt. Das Bild zeigte den Heiligen Kaiser Konstantin, schwarzbärtig und golden, und seine Mutter, die heilige Helena, mit blonden Flechten und purpurnem Mantel. Beide waren jung – wie Braut und Bräutigam. Um ihre gekrönten Häupter schwebte ein Heiligenschein. Sie standen beiderseits eines Kreuzes, das jeder von ihnen mit einer Hand hielt.
    Langsam, mit unendlicher Zärtlichkeit, hob Stavros die Ikone an ihrem metallenen Griff hoch, näherte sie seinem Gesicht und berührte sie mit den Lippen. Er stellte die Ikone wieder an ihren Platz, bevor er auch die anderen Bilder aus ihren Hüllen befreite. Eine nach der anderen kamen die Ikonen zum Vorschein. Ihre Ränder waren mit üppigen Malereien verziert, die Früchte und Blumen, aber auch Sonne, Mond oder einen Kometen darstellten. Alle trugen auf der Rückseite ein kleines, in das Holz eingeschnitztes Kreuz.
    »Phantastisch!« murmelte Martin. Er bat Stavros, einen Augenblick zu warten, holte seine Fotosachen aus der Tasche, breitete Linsen, Objektive und Belichtungsmesser auf dem Boden aus. Er schraubte den Fotoapparat auf das Stativ, richtete seine Objektive. Stavros sah gelassen zu, wie er die Apparate einstellte, die Lichtquellen untersuchte und die Distanzen schätzte. Martin arbeitete rasch und konzentriert. Als sein Finger auf den Auslöseknopf drückte, ließ mich das Blitzlicht zusammenzucken; irgendwie kam es mir vor, als ob das grelle Leuchten die andächtige Stimmung entweihte. Doch Stavros hatte mit keiner Wimper gezuckt.
    »Mußt du unbedingt blitzen?« fragte ich.
    »Es geht nicht anders. Das Licht ist schlecht. Außerdem hat er ja nichts dagegen, daß ich fotografiere.«
    Ich schwieg; Martin fotografierte weiter, während Stavros weiterhin die Ikonen enthüllte. Auf einigen waren Stationen aus der Kreuzigung zu sehen. Die letzte zeigte das Antlitz der Muttergottes, auf dem eine einzige Träne leuchtete.
    »Sie stammt aus Costi, einem bulgarischen Dorf«, sagte Stavros. »Sie ist schon über hundert Jahre im Besitz unserer Familie.«
    »Dann kommen Sie also aus Bulgarien?«
    Er nickte.
    »Unsere Vorfahren stammen von dort. Bulgarien – das alte Thrakien –
    war die Heimat der Sonnenanbeter. Unsere Feier begehen wir zur Erinnerung, sie ist unser Kennzeichen. Der Brauch wandelt sich, unsere Merkmale aber nie. Sie liegen uns schon viele tausend Jahre im Blut.«
    Ich dachte über seine Worte nach, als Anghelina erschien, etwas außer Atem. Sie nickte mir zu, mit erleichtertem Ausdruck.
    »Gott sei Dank schläft sie. Eine Nachbarin wird von Zeit zu Zeit nach ihr schauen.« Sie schlug die Hand vor den Mund, wie ein schuldbewußtes Schulmädchen. »Das Mittel wirkt, ich habe ihr die doppelte Dosis gegeben.
    Ich will nicht, daß sie aufwacht, wenn die Trommel geschlagen wird.«
    Sie wandte sich ab, in ihrer lebhaften Art, kniete wie Stavros vor den Ikonen nieder; unbeeindruckt von dem Blitzlicht zündete sie ein Weihrauchgefäß an; der Rauch stieg in bläulichen Schwaden auf, die
    »Konaki« mit seinem Wohlgeruch erfüllend wie in einer Kirche.
    Draußen wurde das Licht sanft und rosa, als die ersten Teilnehmer eintrafen. Braungebrannte Frauen und Männer, in altmodischer Sonntagskleidung. Ein derber, kräftiger Menschenschlag, das Gesicht und die Gliedmaßen von harter Arbeit gezeichnet. Sie hatten breite Füße, grobknöchige Hände; ihre Nägel waren rissig und von gelblicher Farbe.
    Alle zündeten eine Kerze an, steckten sie in das Gefäß neben der Tür. Dann verbeugten sie sich vor den Ikonen, hoben sie hoch und küßten sie. Martin beachteten sie nicht; mich begrüßten sie mit ernster, wohlwollender Zurückhaltung. Die meisten waren ältere Leute, doch es waren auch einige jüngere Männer und Frauen dabei. Ein Junge mit einem etwas einfältigen Gesicht schien kaum älter als vierzehn. Ein Mädchen, etwa gleichaltrig, hatte wirres schwarzes Haar und Brauen, die über der Nase fast zusammenwuchsen: eine düstere, wilde Schönheit, mit schmaler Taille und üppigem Busen. Eine Frau hielt ein kleines Kind in den Armen: Dimitri, ihren erstgeborenen Sohn. Alle bewunderten den Kleinen, streichelten und kitzelten ihn, um ihn zum Lachen zu bringen. Das Ganze kam mir wie ein Familienfest vor: Man begrüßte sich mit vertrauten Küssen und Umarmungen, tauschte Neuigkeiten aus. Doch Gespräche und

Weitere Kostenlose Bücher