Feuerfrau
Gelächter klangen verhalten, wie besorgt, die feierliche Stimmung nicht durch ein allzu lautes Benehmen zu gefährden. Zwei ärmlich gekleidete Frauen – eine alte und eine jüngere – führten ein etwa achtjähriges Mädchen herein, dessen Kopf hin- und herschwang. Die Frauen hielten das Kind an den krampfhaft ausgestreckten Armen fest; man machte ihnen sofort auf den Stühlen Platz. Eine Frau zog ein blütenweißes Taschentuch aus ihrem Ausschnitt, trocknete liebevoll-besorgt den Speichelfaden, der dem Mädchen über das Kinn lief.
»Sie kommen aus einem anderen Dorf«, flüsterte mir Anghelina zu.
»Die kleine Yulla ist epileptisch. Sie haben kein Geld, um den Arzt zu bezahlen. Nun hoffen sie, daß die Heiligen die Kleine gesund machen.«
»Ist das schon vorgekommen?« fragte ich.
Anghelina streifte mich mit einem tiefen Blick; dann lächelte sie, zärtlich und versonnen.
»Warum soll es den Heiligen nicht belieben, Wunder zu vollbringen?«
Noch mehr Weihrauchbecken wurden angezündet. Einige Frauen hielten sie an Ketten und trugen sie durch den Raum; die Anwesenden wedelten mit beiden Armen die Schwaden an sich heran, atmeten mit glücklichem Gesicht den Weihrauch ein, wobei sie sich bekreuzigten. Die Luft wurde allmählich stickig. Der Weihrauch mischte sich mit dem Duft der Kräuter, die an den Deckenbalken hingen. Nach und nach verebbten die Gespräche.
Stille trat ein; ich bemerkte, wie Martin seinen Sucher auf das kleine kranke Mädchen richtete, die mit irrem Blick zur Decke starrte. Ich hätte ihm mehr Takt zugetraut doch ich sagte nichts. Alle schienen nun auf etwas zu warten. Martin wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht, zog seinen Pullover über den Kopf und knotete ihn über die Schultern. Auf einmal erhob sich eine junge Frau: Mit verzücktem Gesicht die Ikonen betrachtend, die Arme angewinkelt, begann sie heftig auf den Boden zu stampfen. Stavros, der sich mit zwei Männern leise unterhielt, erhob sich. Er trat auf die junge Frau zu, umfaßte zärtlich ihre Schultern, führte sie an ihren Platz zurück, wobei er ihr ein paar Worte zuflüsterte. Sie zuckte zusammen, ihr Blick klärte sich; beide tauschten ein Lächeln. Die junge Frau setzte sich wieder, zog ihr Kleid über die Knie. Niemand hatte dem Vorfall Beachtung geschenkt. Alle saßen schweigend da. Die Stille war vollkommen, bis ein Mann einen Hustenanfall bekam, sich geräuschvoll die Nase putzte und in sein Taschentuch spuckte. »Worauf warten sie?« raunte mir Martin zu. Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
In diesem Augenblick ging die Tür auf; zwei junge Männer erschienen.
Beide trugen eine Lyra und einen Bogen. Sie verneigten sich vor den Ikonen, grüßten die Anwesenden mit höflichem Kopfnicken. Sie stellten sich in den Hintergrund, stimmten ihre Instrumente, während die Wartenden sich bewegten, Arme und Beine streckten, ihre Kleider zurechtzogen, um bequemer zu sitzen. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Nur die stillen Geräusche der Atemzüge waren hörbar, und die kleine Kranke stieß leise, winselnde Laute aus.
Plötzlich trat ein dritter junger Mann in den Raum; das Weiße seiner Augen leuchtete wie sein Hemd, und seine schwarzen Locken fielen über seine bronzebraune Stirn. Auch er kniete vor den Ikonen nieder, bevor er ehrfurchtsvoll die kleine Trommel ergriff und sich zu den anderen Musikern gesellte. Immer noch herrschte Stille. Niemand rührte sich. Poch ich hatte das eigentümliche Gefühl, daß die Luft in Bewegung geraten war, daß etwas Unsichtbares von weither herangeweht kam. Eine plötzliche Gänsehaut überlief mich. Da erhob sich Stavros; mit langsamen, steifen Schritten ging er zu dem Wandbrett, auf dem die Ikonen standen. Er ergriff behutsam die roten Baumwolltücher, die dort zusammengefaltet lagen, und verteilte sie unter den Anwesenden. Sie nahmen die Tücher in Empfang, indem sie Stavros die Hand küßten. Alles vollzog sich ohne Hast, in tiefem Schweigen.
Nun kehrte Stavros zu dem Wandbrett zurück. Er packte den metallenen Griff der großen Ikone, hielt sie über seinen Kopf; mit gleichsam steifen und gelösten Gliedern, als folge er einem inneren Rhythmus, begann er langsam zu tanzen. Einzig das Quietschen seiner Sohlen auf dem Holzfußboden schien den Takt anzugeben. Wie ein Schlafwandler, mit entrücktem Gesicht, näherte sich der »Archi-Anastenaris« nun den Musikern, als wolle er sie in sein Kraftfeld einbeziehen. Und als hätten sie nur auf dieses Zeichen
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