Feuerfrau
geformt.«
Ich starrte ihn überrascht an.
»Geformt?«
»All das gehört dazu«, sagte er. »Diese Andersartigkeit, meine ich.
Schon als Kind modellierte ich, mit Lehm und Ton, knetete kleine Figuren, Menschen oder Tiere. Mein Vater lachte darüber, meine Mutter nicht. Oft kam sie zu mir, wenn ich in meinem Zimmer arbeitete. Sie kniete neben mir am Boden, mit ihrem ernsten, dunklen Gesicht. Sie sagte zu mir: ›Hijo
– Junge – was machst du da?‹ Ich antwortete, ich mache einen Vogel, oder einen Schmetterling, oder einen Jaguar. Sie sah still zu, wie ich arbeitete.
Und eines Tages – ich war gerade sechzehn Jahre alt geworden – kam sie wieder in mein Zimmer, als ich modellierte. Ich hatte Zeitungen ausgebreitet, überall war die größte Unordnung; Werkzeuge, Pinsel und Schwämme lagen am Boden verstreut. Cecilia zog ihre Schuhe aus und setzte sich zu mir. Ich sehe sie noch heute: Sie trug Jeans, eine seidene Bluse und eine Kette aus Türkis. Sie war mehr als schön; sie war außergewöhnlich. Ihr Haar rahmte schmal die länglichen Wangen ein. Ihre dunklen Lippen hatten diese Schwermut, die den Zapotekenfrauen eigen ist.
Ihre Augen, schwarz, mit tiefroten Lichtern, waren von langen Wimpern überschattet, die sich stark wölbten, sobald die Lider sich senkten. So, wie sie vor mir kniete, war sie ganz und gar Indianerin. Damals fühlte ich es zum erstenmal. Meine Schwester war – wenn ich mich so ausdrücken kann
– die Tochter meines Vaters. Ich war der Sohn meiner Mutter. Zwischen uns floß ein Strom roten Blutes, der uns verband. Sie brauchte mich nicht zur Stille zu erziehen. Ich hatte früh gelernt, still zu sitzen und Freude daran zu haben. Sie hatte mir auch nicht beigebracht, meine Sinne zu gebrauchen, die verschiedenen Gerüche aufzunehmen, zu schauen, wenn es allem Anschein nach nichts zu sehen gab, und aufmerksam zu horchen, wenn alles ganz ruhig war. Ich wußte das alles, ohne es jemals gelernt zu haben.
Und nun saß ich da, nur meine Hände bewegten sich und formten die kleinen Figuren aus Ton. Und auf einmal begannen meine Hände, ein Gesicht zu modellieren. Zuerst nahm ich es kaum wahr; ich war völlig absichtslos. Meine Hände arbeiteten selbsttätig, als ob sie in dem Augenblick, in dem mein Geist zu gestalten begann, ausführten und sichtbar machten, was mir vorschwebte. Es war das Antlitz meiner Mutter, das ich formte; sie und ich merkten es gleichzeitig. Cecilia beugte sich leicht vor. Ihr Atem beschleunigte sich, bevor er sich wieder beruhigte.
Dann kniete sie vor mir, in der gleichen aufrechten Haltung; ihr Gesicht war entspannt, die Hände gefaltet. Wir schwiegen beide. Die Unbekümmertheit, die ich ein paar Atemzüge lang verloren hatte, stellte sich wieder ein. Ich war völlig unbefangen, knetete die kleine Plastik, als ob es kaum ein Vorgang spürbarer Realität sei. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, mein Herz schlug gleichmäßig, aber irgend etwas in mir fühlte sich seltsam beschwingt an. Wie es kam, daß sich das Gesicht meiner Mutter fast ohne mein Zutun unter meinen Fingern formte, konnte ich weder damals erklären, noch kann ich es heute. Plötzlich war das Antlitz da, und dies allein ist wichtig. Wir betrachteten es eine Weile schweigend.
Dann erhob sich Cecilia mit einer leichten, federnden Bewegung. Sie trat ein paar Schritte zurück, um es von weitem zu betrachten. Ich entdeckte noch eine kleine Unvollkommenheit, die ich sogleich korrigierte, nachdem ich die Finger mit Speichel befeuchtet hatte. Da ließ mich ein seltsamer Laut den Kopf heben. Ich sah, daß meine Mutter weinte. Ganz ruhig stand sie da; eine einzelne Träne hinterließ auf ihrer Wange eine glitzernde Spur.
Ich starrte sie an, betroffen und etwas beschämt; ich war mir keiner Schuld bewußt. Doch bevor ich eine Frage stellen konnte, schüttelte sie leicht den Kopf. Sie lächelte mir zu, unter Tränen; ihr Ausdruck war herzzerreißend.
Dann drehte sie sich um und verließ lautlos den Raum.
Erst viel später erzählte sie mir, daß sie dort, in diesem Augenblick, ihre Entscheidung getroffen hatte.
›Ich sah dich mein Bild machen und fragte mich: Wer bin ich eigentlich? Es kam mir in den Sinn, daß ich mir über diese Frage schon lange den Kopf zerbrochen hatte. Und als ich mich erinnerte, wußte ich, daß die Antwort stets die gleiche sein würde: eine Indianerin, für ein anderes Leben gemacht‹.«
Manuel seufzte und fuhr fort:
»Ich nehme an, daß er schon lange zwischen meinen Eltern
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