Feuerfrau
Gäste zum Cocktail und Dinner. Cecilia besaß zwei Dutzend Abendkleider und hundert Paar Schuhe. Sie lacht noch heute darüber. Wenn sie von früher erzählt, beginnt sie oft mit den Worten: ›Damals, als ich hundert Paar Schuhe hatte…‹«
»Wie kam es denn, daß sie deinen Vater verlassen hat?«
»Eines Tages hat sie diesen Entschluß gefaßt. Ramona studierte schon im Ausland, ich war im letzten Schuljahr vor dem Abitur. Cecilia ließ ihre Abendkleider und Schuhe zugunsten einer Stiftung für Waisenkinder versteigern, gab Ramona ihren Schmuck und bewarb sich um eine Stelle als Lehrerin auf dem Land.«
»Und dein Vater? Wie hat er die Sache aufgenommen?«
»Gefaßt. Er ist ein Mann mit diplomatischen Umgangsformen. Seine Vorfahren waren Europäer. Er wußte aber auch, daß Cecilia in ihrer Jugend mit der Welt des Hungers, der Ignoranz und der schreienden Ungerechtigkeit in Berührung gekommen war. Daß ihr Vater, Don Alfonso Huitemea, Kazike war – Dorfoberhaupt also – und nie in die Kirche ging.
Überdies galt er als Zauberer, eine Eigenschaft, die überall auf der Welt den Maskenschnitzern zugeschrieben wird.«
»Ja, warum eigentlich?« fragte ich.
»Das Holz bewahrt die Naturkräfte, die uns mit den Pflanzen verbinden.
Eine Maske gestaltet man nicht nach der Wirklichkeit, sondern nach einer Vision. Und früher durfte keiner eine Maske tragen, die er nicht selbst geschnitzt hatte.«
Ich lächelte.
»Ich würde deinen Großvater gerne kennenlernen. Er muß ein bemerkenswerter Mensch sein.«
Ein Schatten glitt über Manuels Gesicht.
»Er ist tot«, sagte er dumpf. »Als er mir die Chimiria gab, hatte er schon den Ruf der Eule gehört.«
»Was bedeutet das, Manuel?«
»Er wußte, daß er sterben würde. In seiner Jugend hatte er in einem Bergwerk gearbeitet. Seine Lungen waren geschwächt.«
Er lächelte mich an, wenn auch nur flüchtig.
»Du hättest ihm gefallen.«
Manuels Glas war leer; ich hob die Flasche, schenkte ihm neuen Wein ein. Er trank einen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Nun, mein Vater sah ein, daß in Cecilia Kräfte am Werk waren, gegen die er machtlos war. Sie trennten sich also – räumlich. Jeder gab dem anderen absolute Freiheit. Solange sie zusammenlebten, hatte Rafael meine Mutter nie betrogen. Jetzt hat er ein Notizbuch voller Telefonnummern.
Aber was heißt das schon? Und was Cecilia betrifft…«
Manuel stockte, schüttelte leicht den Kopf.
»Sie hat meinen Vater nicht wegen eines anderen Mannes verlassen, sondern wegen einer Vision.«
Ich rieb mir die Stirn; ich hatte plötzlich ein dumpfes Gefühl in meinem Kopf, alles widerhallte darin wie in einer hohlen Muschel.
»Sehen sie sich manchmal?«
»O ja, ein paarmal im Jahr. Da reist mein Vater zu ihr, oder sie kommt nach Acapulco. Sie fahren zu der Hacienda, reiten zusammen in die Berge aus, baden im Fluß. Sie trinken Tequila, essen Pfefferschoten und gefüllte Maiskuchen. Oder sie gehen ins Theater, besuchen Konzerte. Sie sind verliebt wie am ersten Tag. Und dann trennen sie sich wieder. Sie haben den Mut dazu. Beide sind stark genug, daß sie es schaffen, auf diese Weise zu leben. Es braucht eine besondere Begabung dazu…«
Ich schluckte schwer. In mir herrschte Verwirrung.
»Ja, ich verstehe.«
»Nicht wahr?« sagte er. »Meine Eltern führen ein seltsames Leben.
Deswegen spreche ich nicht gerne darüber. Meine Schwester, zum Beispiel, versteht das nicht. Sie würdigt zwar Cecilias Handlungsweise, kann sie aber nicht ohne Vorbehalt annehmen. In den Vereinigten Staaten vertuschen lockere Umgangsformen strenge Konventionen. Ramonas Vorstellung von dem, was sich schickt oder nicht schickt, wurde davon geprägt. Wir haben uns wenig zu sagen. Der Altersunterschied trennte uns schon als Kind. Mädchen sind früher reif. Und obwohl wir im gleichen Haus daheim waren, wohnte jeder von uns in einem anderen Herzland. Sie war kühl und vernünftig wie mein Vater; in mir wirkte das dunkle indianische Blut. Ich konnte versuchen, mich in Ramona zu versetzen, ihre Gedanken und Gefühle nachzuempfinden, aber der Versuch blieb einseitig, weil sie mir niemals entgegenkam. Ich nehme an, daß mich das verletzte, und dieses Gefühl bestimmt noch heute unsere Einstellung zueinander. Wir sind Geschwister, aber wesensfremd…«
Der Wein machte mich benommen. Ich sagte, um etwas zu sagen:
»Hast du kein Foto von deiner Mutter?«
Er lächelte verschmitzt.
»Nein, aber ich habe ihr Bild
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