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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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noch an den Heftzwecken. In der Stille hörte ich, wie ich seufzte. Es zog mich mit aller Kraft zurück in die vergangene Zeit, aber die Gegenwart bewegte sich in ihrer eigenen Weise weiter und nahm mich mit, irgendwohin. Ein Gleichgewicht war gestört, die Welt war nicht mehr in Ordnung; diese zusätzliche Wahrnehmung beunruhigte mich. Wenn sich etwas auf der Oberfläche rührte, setzte ich meinen Verstand ein und handelte. Aber da waren Dinge unterhalb der Oberfläche; Dinge, die im Nichts hingen, die sich nicht erklären ließen. Sah ich Nonna im Traum, war ich nie beunruhigt. Aber oft träumte ich etwas anderes: Ich gehe durch Casa Monte, wie eben jetzt. Ja, sage ich mir im Traum, das ist das Haus, hier bin ich früher gewesen. Ich erkenne es genau; warum finde ich mich nicht mehr zurecht? Die langen Korridore, die Gegenstände in den Zimmern sind mir fremd. Und diese Wendeltreppe, wohin führt sie? Auf den Speicher? In die Kornkammer?
    Bruchstücke aus Erinnerungen: die Berge frischen Korns, in denen ich mich als Kind wälzte und vergrub.
    Ich steige, Schritt für Schritt. Endlos, diese Stufen! Immer wieder eine und noch eine. Dunkel, eng, noch enger. Jetzt die totale Schwärze. Dann eine Tür, und unter der Schwelle ein schwacher, blauer Schein. Dahinter ist ein Geheimnis verborgen. Das Holz der Tür ist kein Material, das ich mir vorstellen kann, es ist warm und weich, wie ein lebender Körper. Ich forsche, blind und eilig, ich suche und fühle mit den Händen. Und da springt diese Tür auf, Lichtstrahlen fegen mir entgegen. Im Zentrum flackert ein Feuer, nicht so scharf umrissen wie die Lichtströme, aber viel heller, mit den blauen Flammen der höchsten Temperatur. Und in diesem Kern bewegt sich eine Gestalt. Frau oder Mann? Oder nur mein eigenes Spiegelbild? Ich sehe dieses Wesen, es hat kein Gesicht, es leuchtet nur. Ich weiß nicht, was es ist; ich glaube, es hat etwas zu tun mit dem, was hier in Casa Monte geschah, als ich… Stop. Ich bringe mal wieder alles durcheinander, gehe von diffusen Empfindungen aus und suche physikalische Erklärungen.
    Das sollte unmöglich gewesen sein? Undenkbar? Ich habe einige Erfahrung in diesen Dingen. Ich weiß, daß Unmögliches und Undenkbares verschiedene Begriffe sind. Das Undenkbare existiert. Es kann unter unseren Augen geschehen. Wir können es miterleben. Bestreite ich das?
    Nein. Aber ich muß annehmen, daß die Denkfähigkeit meines Gehirns nicht unbegrenzt ist und daß ich diese Grenze erreicht habe. Ich kann daraus den Schluß ziehen, daß das, was mir unmöglich scheint, es vielleicht gar nicht ist. Mein unzureichender Verstand macht mich nicht nur unfähig, gewisse Probleme zu lösen, sondern sogar unfähig, sie zu denken. Also, wenn ich verrückt werden könnte, wäre ich es längst geworden. Sorry, ich experimentiere zu gerne und bin auf diesem Gebiet großartig exakt.
    »Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, Nonna. Und auch nicht, was ich tun soll. Wer bin ich eigentlich?«
    Ich fragte laut und wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Dann merkte ich, daß ich die Frage anders stellen mußte: »Was bin ich, Nonna?«
    »Soll ich dir antworten?« sagte Nonna. »Vieni qui, Bambina! Qui, in mia stanza.«
    Ich ging aus dem Zimmer, den Gang entlang. Hier gab es eine bestimmte Stelle, wo ich vorsichtig sein mußte. Ich sah es noch, das klaffende Loch an der Decke, die geschwärzten Bodenplatten. Ich sah sie vor meinen inneren Augen, als wären sie wirklich vorhanden gewesen.
    Dabei waren nach ein paar Tagen die Handwerker gekommen. Ich erinnerte mich an ihre Schritte im Estrich, an die aufgerichtete Leiter, an die Werkzeuge. Ich hörte das Klopfen und Hämmern, das Schaben und Scharren der Ziegel, als sie das Dach instandsetzten. Sie arbeiteten bei Radiomusik, die durch das ganze Haus schallte. Mein Vater wollte, daß die Arbeit so schnell wie möglich gemacht wurde. Das, was sich hier zugetragen hatte, war ungeheuerlich. Ich war ein empfindsames Kind; er fürchtete, daß irgendein Schaden bei mir zurückblieb. Nonna wußte es natürlich besser.
    »Aber Peppino« – sie nannte meinen Vater Giuseppe bei seinem Kosenamen – »glaube ja nicht, daß die Kleine jetzt Angst hat. Sie wird niemals mehr Angst haben, das mußt du doch begreifen.«
    Nonna schlief in dem Eckzimmer, ganz hinten am Flur. Es war der einzige Raum, der keinen Ausgang zur Loggia hatte. Und unter ihrem Fenster befand sich das Gewächshaus, in dem mein Großvater Orchideen züchtete. Nonna

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