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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Porträt von Nonna, noch jung und halb von der Seite gesehen. Sie hielt ein Buch in der Hand. Der Kopf erhob sich klein und eigensinnig über dem schmalen glatten Hals, aus ihrer Haltung sprachen Gelassenheit und Harmonie. Ein Kranz dichter Flechten umrahmte die hohe Stirn, ihr freimütiger Blick schien ohne Geheimnis zu sein. Sie hatte eine feine, gerade genügend lange Nase und üppige Lippen, mit einem schwebenden Lächeln darauf. Ich dachte, wie seltsam, warum hat mein Vater die Fotografie nicht mitgenommen? Ich betrachtete sie nachdenklich, bevor ich Nonnas Bild mit meinem eigenen Bild im Spiegel verglich. Nonnas Gesicht, mein Gesicht. Ich hatte dieselbe Stirn, denselben Rundbogen der Wangen, denselben weitgeschwungenen Mund. Nur die Nase war kleiner und die Augen länger, dunkler, mit einer leichten Schrägneigung nach oben.
    »Cara«, sagte Nonna zu mir, »du weißt doch, daß wir uns gleichen.
    Nicht nur im Aussehen. Auch im Wesen.«
    »Aber irgendwie bin ich auch verschieden.«
    »Vielleicht wäre ich gerne wie du gewesen?« sagte Nonna. »Über die Mauer klettern, ausreißen, ihn suchen… das hätte ich nie gewagt.«
    »Er liebte mich, Nonna. Er liebte mich wie ein Wahnsinniger. Ich hatte keine Angst.«
    »Ja, das war der Unterschied. Luigi liebte mich nicht. Weißt du, was er in Milano tat?«
    »Sich in Bordellen herumtreiben, nehme ich an. Er hätte dir eine Krankheit anhängen können!«
    »Warum, glaubst du, daß ich zwei Fehlgeburten hatte? Es waren andere Zeiten, damals. Zeiten für blinden Gehorsam, für Zuneigung auf Knopfdruck. Wir fürchteten uns vor der Sünde.«
    »Du warst immer sehr eigenständig.«
    »Ich hatte mir einen Käfig gebaut. Aber Selbstvertrauen ist lernbar. Ich mußte nur die Kraft dazu aufbringen.«
    »Was war denn daran so schwierig?«
    »Nichts. Die Gitter waren in meinem eigenen Kopf.«
    Ich lächelte, hauchte einen Kuß auf das Glas des Fotos und stellte es an seinen Platz zurück. Später würde ich Bett und Spiegelkommode holen lassen.
    »Ich bin traurig, Nonna. Ich ertrage es nicht, daß unser Haus verkauft wurde.«
    »Du wirst ein anderes finden.«
    »Ich will kein anderes.«
    »Vedrai, vedrai!« sagte Nonna.
    Was werde ich sehen? Den finsteren Gang, die Treppe, die Gestalt im Licht? Es ist so banal, wenn wir etwas träumen und wissen wollen, was es bedeutet. Es bedeutet meistens gar nichts.
    »Hab doch Geduld!« sagte Nonna. »Alles nimmt seinen Gang, spult sich ab. Du bist zu gescheit, das ist dein Problem. Du machst die Dinge viel zu kompliziert. Habe ich nicht recht, Bambina?«
    »Womit?«
    »Daß du zuviel denkst.«
    »Ich kann mich nicht ändern, Nonna.«
    »Sei ruhig, du wirst zurückkommen. Aber nicht allein. Und dann wird es dir nicht mehr viel ausmachen.«
    Es gab eine Art Bewegung. Der Raum zitterte leicht. Oder war das Zittern in mir, in meinem Körper?
    »Was hast du gesagt? Ich muß wohl etwas durcheinander sein. Ich verstehe dich nicht.«
    »Das macht nichts, Cara. Geh jetzt, sonst verpaßt du den Flug.«
    Ich hakte die Läden wieder ein, schloß das Fenster. Nonnas Bild ließ ich stehen. Solange sie noch da war, das Haus bewachte, gehörte mir dieser Ort. Hier war ich früher gewesen, hier hatte ich mich beschützt gefühlt, in Sicherheit. Casa Monte war schon alt, hatte seine volle Stärke erreicht. Eine Welt aus Stein und Holz, in der meine Seele hin und her glitt wie eine Luftblase. Die Mauern flüsterten und sangen, der Rhythmus klang wie ein ungestimmtes Glockenspiel in meinem Kopf. Casa Monte lebte, war lebendig, erfüllte mich mit Schrecken und Gnade. Nach dieser Sache, damals, fühlte ich mich noch enger mit dem Haus verbunden. Nie wollte ich Casa Monte verlassen, wollte hier bleiben bis an mein Lebensende.
    Kleine Mädchen haben solche absurde Gedanken. Es war Carmilla, die weg wollte. Carmilla hielt es nicht aus, ihre Nerven versagten. Sie schleppte ihre Angst mit sich herum, schluckte Pillen, wachte nachts schreiend und schweißgebadet auf. Casa Monte war ein Alptraum für sie. Kein Wunder, daß das Haus sie nicht mochte und sie es dafür haßte. Wir mußten weg, ihretwegen.
    Und jetzt würde ich Casa Monte verlieren. Der Schmerz steckte in mir wie ein Pfeil mit Widerhaken. Ich wollte ihn herausziehen und stieß ihn noch tiefer. Weggehen, hattest du damals gesagt, Amadeo. Man muß weggehen, um sich selbst zu finden. Wohin? Zu dir? Diese Frage war niemals zur Diskussion gekommen. Sonderbar, so jung wie ich war, daß ich diesen Zustand schon

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