Feuerfrau
hatte bei seinem Tod dieses Eckzimmer bezogen. Sie wollte nicht mehr im »Letto matrimoniale« schlafen.
»Ich habe Luigi nie gemocht, weißt du«, hatte sie mir gestanden, als ich sie im Altersheim besuchte und sie bereits an den Rollstuhl gefesselt war.
»Meine Eltern wollten, daß ich ihn heiratete. Er war der reichste Mann in Montereale Celina.«
Er war auch ein böser Mann, jähzornig, geizig und besserwisserisch.
Sein Vater hatte äußerst vorteilhafte Landeinkäufe getätigt in einem Augenblick politischer Verwirrung. Luigi überwachte sein Territorium wie ein Habicht sein Revier. Man sah ihn überall: auf dem Hof, in den Ställen, bei der Feldarbeit, bei der Ernte. Die Landarbeiter fühlten sich bespitzelt und machten einen Bogen um ihn. Er hatte eine Zeitlang in den Kolonien, in Äthiopien verbracht, brach hemmungslos die eheliche Treue und war –
auf seine Art – ein schlauer Opportunist.
Er war ein Anhänger Mussolinis, trug das faschistische Parteiabzeichen am Kragen. Nonna war nie politisch interessiert gewesen, nicht zuletzt, weil man ihr eingebleut hatte, daß Politik – wie vieles andere –
Männersache sei. Darauf angesprochen, antwortete sie nur: »Me ne frego«
– das kümmert mich nicht. Sie hatte einen sicheren Instinkt für Menschen und konnte Mussolini nicht leiden. »Keinen Schritt tue ich für den Kerl«, verkündigte sie selbstbewußt in der Nachbarschaft, was ihr viele Feinde und einige treue Freunde einbrachte.
Ich war noch nicht auf der Welt, als mein Großvater starb. Herzschlag.
Nonna hatte mir nie gesagt, ob er vorher krank gewesen war.
Sie hieß als Mädchen Stella Graziani und war die Tochter des Gemeindeschreibers. Die Eltern hatten sich ihre Erziehung etwas kosten lassen und sie nach Verona in eine Klosterschule geschickt. Die Nonnen brachten ihr Schönschrift, etwas Mathematik und Geographie bei. Sie lernte Häkeln und Stricken, wie man einen Haushalt leitet, ein komplettes Essen mit sechs Gängen herstellt und Gäste mit liebenswürdiger Konversation unterhält. Als Achtzehnjährige war sie eine Schönheit – selbst nach städtischem Maßstab geurteilt. Luigi Fornari war zwanzig Jahre älter; er kam gerade aus Afrika, galt als Mann von Welt und trug eine weiße Uniform. Stella ließ sich blenden, heiratete ihn und wurde enttäuscht, ein alltäglicher Groschenroman. Sie brachte zwei Kinder zur Welt – ein Mädchen, das an Keuchhusten starb, und nach zwei Fehlgeburten einen Sohn, Giuseppe.
Ihr Mann war ein »homme á femmes«. Wenn Stella von ihm sprach, gebrauchte sie diesen unmodernen französischen Ausdruck. Unfeiner ausgedrückt: Er hielt sich »einen ganzen Stall«, wie die Leute hinter vorgehaltener Hand – und nicht ohne unterschwellige Bewunderung –
tuschelten. Auf Grund ihrer Erziehung nahm Stella das Eheversprechen ernst. Scheidung? Das gehörte sich nicht. Schon das Wort hatte einen anrüchigen Beigeschmack. Als sie Witwe wurde – noch immer eine schöne Frau –, empfand sie keine übermäßige Trauer und nicht die geringste Lust, sich an einen zweiten »homme á femmes« zu binden. Eine Zeitlang reiste sie häufig weit weg, nahm sich Liebhaber, die im Durchschnitt zehn Jahre jünger waren. Von älteren Männern hatte sie die Nase voll. Später kaufte sie eine Wohnung in Milano und ging dort, wie sie sagte, »zur Kur«, was auch immer sie darunter verstand.
Die Tür zu Nonnas Zimmer war geschlossen; ich zögerte kurz. Fast hätte ich angeklopft, wie früher, bevor ich auf die Klinke drückte. Durch die Ritzen der Fensterläden fiel Tageslicht in den Raum. Ich sah das Bett mit den Messingknäufen an der Wand, den marmornen Waschtisch mit Spiegel, auf dem ein Wasserkrug und eine zersprungene Porzellanschüssel standen. Die Scheiben bebten mit leisem Klirren, als ich das Fenster öffnete. Ich zog die Haken heraus, stieß die Läden auf. Sonnenschein fiel in den Raum. Ich beugte mich nach draußen, sah in sechs Meter Tiefe das Gewächshaus. Von dem Glasdach waren nur noch das rostige Gestell und ein paar Scherben übrig. Die Rohre der Bewässerungsanlage waren verbogen und zerplatzt. Einige Kakteen wucherten in Töpfen. Als ich mich umwandte, regte sich vor mir ein Schatten; ich fuhr leicht zusammen. Doch es war nur mein eigenes Bild, das sich im leuchtenden Rechteck des Spiegels bewegte. Auf dem Nachttisch stand eine Fotografie in einem ledernen Stehrahmen. Ich kam mir, als ich das Bild gegen das Licht hielt, seltsam erschrocken vor. Es war ein
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