Feuerfrau
jetzt von den Farben des Nachsommers in dunkles Grün getaucht. Die Silberpappeln leuchteten. Bäume und Spalierkulturen hingen voller rotwangiger Äpfel. Auf den Feldern wurde die Ernte mit Maschinen eingeholt, aber man sah auch noch Bauern, die mit Pferd und Wagen arbeiteten. Das blaue Licht schwang sich von Höhenrücken zu Höhenrücken, die Berge schimmerten wie blaues Porzellan. Bei Pordenone begannen die planlos gebauten Wohnsilos, die Gas- und Chemiewerke, die verstopften Straßen, die schlechte Luft. Wir verloren viel Zeit, bevor wir die Industriezone hinter uns ließen, den Bergen entgegenfuhren. Ich hatte bei Brescia getankt, der Wagen lief gut. Ich lächelte Manuel flüchtig zu.
»Es ist jetzt nicht mehr weit.«
Mein Schweigen hatte ihn nicht gestört; doch jetzt schien er froh, daß ich ihn wieder wahrnahm.
»Hast du lange in dem Dorf gelebt?«
»Ich bin in Udine geboren, der Hauptstadt der Provinz. Udine liegt ein Stück weiter, in Richtung Triest. Damals war mein Vater Chefredakteur der Tageszeitung. Wir wohnten in Montereale Celina, bei Nonna. Carmilla –
meine Mutter – langweilte sich dort zu Tode. Mit Nonna verstand sie sich nicht besonders; Nonna war zu eigenwillig, zu selbständig. Carmilla fühlte sich bevormundet. Mein Vater sah ein, daß das Dorf leben ihr nicht lag; so oft es ihm möglich war, fuhr er mit ihr nach Venedig, Portofino oder Santa Margherita. Dort blühte sie auf. Ich verlebte in Montereale Celina die schönsten Jahre meiner Kindheit. Ich hatte das Gefühl, daß das ganze Dorf ein einziger großer Spielplatz für mich war. Ich kannte jeden Straßenwinkel, jeden Hof. Im Sommer war es mein liebstes Vergnügen aufzustehen, wenn es noch dunkel war, und zu den Bauern zu gehen, die im Stall ihre Kühe melkten. Dann frühstückte ich mit ihnen; sie gaben mir selbstgebackenes Brot und eine große Tasse warme Milch.«
Ich brach ab. Er sagte:
»Erzähl weiter.«
»Mit sechs kam ich in die Schule, saß mit den Dorfkindern auf morschen Holzbänken um einen großen Eisenofen, der in der kalten Jahreszeit qualmte und stank. Die Winter waren rauh, dicke Eisblumen bedeckten die Fenster. Von Bequemlichkeit und Hygiene war damals kaum die Rede; nur wohlhabende Bauern hatten ein Badezimmer. Plumpsklos waren eine Selbstverständlichkeit, und was darin war, wurde als Dünger verwendet. Im Sommer begleiteten wir die Bauern aufs Feld. Wir saßen hinten auf dem großen Heuwagen, der von Maultieren gezogen wurde.
Während die Leute arbeiteten, knabberten wir an Maiskolben und pflückten Maulbeeren. Wir wateten barfuß durch die Bäche, fingen Krebse und kleine Fische. Wir Mädchen zogen unsere Höschen aus, um uns in das kühle Wasser zu setzen. Die Jungen waren auch dabei, und natürlich spielten wir Doktor.« Ich warf Manuel einen lachenden Blick zu. Er legte seine Hand auf mein Knie.
»Weiter!«
»Alle Ereignisse vollzogen sich in unserem Blickfeld. Wir sahen zu, wie die Kälber zur Welt kamen, wie das Schwein geschlachtet wurde. Das Schwein wurde von zwei Knechten gehalten, und der Dorfmetzger stieß ihm das Messer in die Kehle. Das Schwein schrie und krümmte sich, während das Blut in einen Eimer floß. Und bald danach war das Fest des Heiligen Antonius. Das Standbild des Schutzheiligen wurde durch das Dorf und seine Umgebung getragen. Allen voran schritten die Chorknaben, ihre Weihrauchfässer schwenkend, dann kam der Priester mit dem Allerheiligsten unter dem Baldachin. Hinterher trippelten die Schulkinder.
Ich trug wie alle Mädchen ein weißes Kleid; Carmilla hatte mir Locken gedreht. Ich hielt das Gesangbuch in der Hand, betete wie alle Kinder den Rosenkranz auf lateinisch! Mir kam das alles ganz natürlich vor, ich war von einer Aura von Klängen und Glauben umhüllt. Und einmal im Jahr, zum Fest der ›Muttergottes vom Berge‹ fuhren wir mit blumengeschmückten Wagen, von Mauleseln gezogen, zum ›Monte Cavallo‹, zum Pferdeberg. Nach der Messe in der Kapelle wurden Tischtücher auf dem Boden ausgebreitet, Proviant wurde ausgepackt. Es wurde Musik gemacht und getanzt. Ich habe sogar noch die Lieder im Kopf. All diese Dinge stehen vor mir, als wären sie gestern gewesen. Sie gaben mir Sicherheit. Ich wuchs mit der Illusion auf, daß alles war, wie es sein sollte.«
»Es war keine Illusion.«
»Damals nicht. Und später hat man nie wieder dieses Gefühl.«
»Nein, aber es ist wichtig, daß man es mal gehabt hat. Und weiter?«
»Ich muß dir noch von Nonna erzählen. Sie
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