Feuerfrau
gedankenverloren, während er flink und sachkundig das Atelier in Ordnung brachte.
»Wie sorgfältig du mit den Sachen umgehst«, stellte ich fest.
Er nickte bejahend, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.
»Ein guter Arbeiter pflegt seine Werkzeuge. Wenn sie sich wohl fühlen, sind sie ihm auch treu.«
Seine Ungezwungenheit täuschte: den Kern der Dinge erkannte er sofort. Er spielte sich nicht auf, dachte niemals in Schablonen. Er hatte das alles nicht nötig. Er trug Kenntnisse in sich, ganze Folgen von Erinnerungen, als habe er schon mehrere Leben gelebt. Er ließ sich auch nicht leicht aus der Fassung bringen.
Eine merkwürdige Gedankenverbindung brachte mir das Gespräch mit meinem Vater in den Sinn. Seit Manuels Rückkehr hatte ich alles, was mit Casa Monte zusammenhing, weit von mir geschoben. Jetzt mußte ich etwas in dieser Angelegenheit tun. Ich spürte auf einmal, wie ich fröstelte – es war etwas kalt in dieser Werkstatt, und ich hatte ziemlich lange stillgesessen. Inzwischen suchte Manuel verschiedene Sachen zusammen, stopfte sie in seinen Rucksack. Wir hatten abgemacht, daß Manuel bei mir wohnen würde. Die Werkstatt würde er nur noch für die Arbeit benutzen.
Die Entfernung war nicht weit, er brauchte nur ein paar Stationen mit der Metro zu fahren. Während er ein paar Bücher einpackte, erzählte ich ihm von dem Anruf.
»Casa Monte soll umgebaut werden.«
Er warf sein Haar aus der Stirn und blickte mich aufmerksam an.
»Das Haus deiner Großmutter?«
»Der Engländer, der es gekauft hat, will ein Ferienhaus daraus machen.
Ich habe vor, nach Montereale Celina zu fahren. Da sind noch ein paar Möbel, die ich bei einer Frau aus dem Dorf lassen will. Mein Vater wollte sich um die Sache kümmern, aber…«
Ich stockte. Er wartete schweigend, daß ich weitersprach.
»Der wahre Grund ist, daß ich das Haus ein letztes Mal sehen will. Für mich, weißt du, hat Casa Monte eine ganz besondere Bedeutung.«
Er nickte ernst.
»Ja, das hast du mir erzählt.«
»Es ist schwer«, sagte ich, »die Orte seiner Kindheit aufzusuchen, wenn man weiß, daß sie bald nicht mehr da sind. Im Grund genommen sollte man es nicht tun.«
»Es gibt Dinge, die wir loswerden müssen.«
»Aber wie? Es war mal eine Zeit, da konnte ich nicht schlafen. Ich hatte Angst davor. Tabletten wollte ich nicht nehmen. Ich bildete mir ein, daß es nur einen einzigen Ort auf der ganzen Welt gab, wo ich tief und traumlos schlafen könnte: im Zimmer meiner Großmutter, in ihrem Bett. Das war natürlich nicht vernünftig.«
Er strich erneut sein Haar aus der Stirn.
»Seit wann wird verlangt, daß wir immer das Vernünftige tun?«
»Man sollte sich besser kennen«, erwiderte ich. »Oft sage ich mir, daß ich mich nicht mit der Wissenschaft befasse, weil sie mich interessiert, sondern weil ich nicht verrückt werden will.«
Er lachte kurz und antwortete dann ernst:
»Es kommt vor, daß wir mit dem Verstand den größeren Schaden anrichten.«
»Offenbar macht die Logik für mich eine Ausnahme«, sagte ich. »Ich habe manchmal das Gefühl, daß meine Großmutter noch lebt. Daß sie in Casa Monte auf mich wartet, wie damals, als ich in den Ferien zu ihr kam.
Ein ganz absurder Gedanke, findest du nicht auch?«
»Warum? Zwischen uns und den Verstorbenen ist nur ein wenig Erde.«
Verschwommene Bilder tauchten vor meinen Augen auf. Ich schüttelte leicht den Kopf. Die Bilder verblaßten.
»Es ist schwer«, sagte ich, »das jemandem begreiflich zu machen. Sogar mein Vater ist beunruhigt. Er vermeidet Worte die Unglück bringen, darin ist er sehr italienisch. Aber ich mußte ihm versprechen, daß ich nicht allein gehen würde. Er hat Angst, daß ich Selbstgespräche wie eine einsame Alte führe. Oder daß ich träume und Gespenster sehe. Ich nehme ihn nicht ganz ernst, weißt du.«
Er kniff leicht die Augen zusammen, doch er stellte keine Frage, sondern nickte nur.
»Ich habe viel Zeit.«
»Ja, das hast du gesagt.«
Jetzt lachten wir beide. Die Bilder waren verschwunden. Ich atmete freier.
»Wann fahren wir?« fragte er.
»Ich kann einen Tag freibekommen. Alain wird mich vertreten. Wenn wir am Donnerstag losfahren, sind wir Sonntag abend wieder in Paris.«
Manuel rollte zwei Pullover zusammen, stopfte sie ganz oben in den Rucksack und zog den Reißverschluß zu.
»Ich war noch nie in Italien«, sagte er.
29. KAPITEL
E s wurde eine seltsame Reise; zuerst dadurch, daß ich von so weit her zu etwas so Zurückliegendem wie
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