Feuerfrau
auf. Das nächste Spiel dauert kaum zehn Minuten. Nonna gewinnt.
›Schachmatt, Piccina! Du hast deine Türme schlecht eingesetzt‹ Maria stellt das gespülte Geschirr in den Schrank.
›Madonna! Man muß schon klug sein, um dieses Spiel zu können.‹
›Das stimmt‹, sage ich ernst. ›Ich habe die klügste Großmutter der Welt!‹
Nonna schüttelt sich vor Lachen.
›Sei ruhig, Piccina! Ich werde es noch erleben, wie du mich schachmatt setzt.‹
Draußen kracht der Donner; der Schein der Blitze flackert durch die Läden. Der Bildschirm zuckt in fluoreszierenden Farben, ein paar Sekunden lang wird der Film unscharf.
›Bei Gewitter sollte man den Fernseher abstellen‹ meint Nonna.
Carmilla nickt.
›Ich passe schon auf.‹
Maria und Fabrizio ziehen sich zurück. Nonna gähnt herzhaft. Das ist auch etwas, was Carmilla nicht mag: daß alle mit den Hühnern ins Bett gehen. Nonna verschwindet spätestens um zehn; dann sitzt Carmilla allein vor dem Fernseher, bis Mitternacht, oder noch später. Manchmal geht sie im Dorf spazieren, aber auch dort schließt jedes Cafe um elf. Dieses elende Kaff! sagt Carmilla. Nonna nimmt ihre Brille ab und reibt sich den Rücken.
›Komm, Piccina! Ich bringe dich zu Bett.‹
Ich ziehe meinen Schlafanzug an und putze mir die Zähne. Dann liege ich in meinem Bett, die Nachttischlampe brennt gedämpft, so daß der Raum im Schatten ist. Nonna setzt sich auf die Bettkante und schlägt ein Buch auf. Sie liest mir jeden Abend vor: Gli raconti de l’isola felice. – Die Geschichten von der glücklichen Insel.
Nonna trägt ihren weißen Morgenmantel und duftet nach Veilchen. Sie hat die Nadeln aus ihrem Knoten entfernt; weich und geschmeidig fällt ihr Haar über die Schultern. Wie hübsch sie ist! Ihre Stimme klingt weich und melodisch. Draußen rollt der Donner; der Wind rüttelt an den Läden und schlägt mit Tropfenböen wie mit Schrot an das Holz. Nonna liest die Geschichte der Schneekönigin ganz zu Ende; dann schließt sie das Buch und legt es auf meinen Nachttisch. Sie beugt sich über mich und küßt mich.
›Gute Nacht, Piccina.‹
›Gute Nacht, Nonna.‹
›Du hast doch wohl keine Angst, wenn es donnert?‹
›Ich habe nie Angst‹, sage ich.
Das stimmt: Ich habe nie Angst, auch nicht vor Dingen, die mich eigentlich erschrecken sollten. Nonna zieht die Decke hoch und streicht mir über das Haar.
›Wenn du etwas brauchst, dann rufe mich.‹
›Ja, Nonna.‹
Sie steht auf und geht zur Tür.
›Morgen scheint wieder die Sonne.‹
Sie dreht den Lichtschalter aus. Einen Atemzug lang besteht ein winziges rotglühendes Leuchten. Verblaßt. Verschwindet. Nonna schließt behutsam die Tür. Ich starre mit offenen Augen in die Dunkelheit. Der Wind rauscht, der Regen prasselt an die Läden. Plötzlich fliegt der Widerschein eines Blitzes durch das Zimmer. Ein Donnerschlag kracht. Die Berge werfen das Echo mit dumpfem Knall zurück. Auf dem Dach klappern Ziegel. Manchmal gibt es einen kurzen, heftigen Schlag, wenn herumwirbelnde Gegenstände – Äste, Holzstücke oder Abfälle – gegen die Hauswand prallen. Dann ist wieder Ruhe. Ich lausche auf die vertrauten Geräusche des Hauses, auf das scharfe Knacken in den Möbeln. Casa Monte steht fest im Unwetter, atmet schwer und ruhig. Die dicken Mauern schützen mich vor dem Sturm, ich bin hier vollkommen in Sicherheit.
Meine Lider werden schwer, alle Geräusche verschwimmen; ein fernes, gleichbleibendes Rauschen erfüllt meine Ohren. Ich schlafe ein.
Ich schlafe ein. Und die Welt geht unter. Eine einzige Explosion, krachend, splitternd, berstend. Das Haus bebt in den Grundfesten, die Wände zittern. Mörtel fällt von der Decke. Der Fußboden hebt sich, die Scheiben klirren zu Boden. Ein Luftstrom wirbelt durch das Zimmer, die Tür springt auf; im Gang flackert Feuer. Sekundenlang liege ich da, wie gelähmt. Mein Herz rast. Dann springe ich aus dem Bett; die Glasscherben funkeln wie tausend rötliche Eiskrümel, aber ich spüre nicht den geringsten Schmerz. Ich renne aus der Tür und stehe vor einem rauchenden Loch. Die Decke ist zersplittert, ein paar Dachbalken hängen herunter; durch die Öffnung sieht man den Himmel mit seinen wirbelnden Wolken. Um die zerbrochenen Bodenlatten züngeln kleine Flammen; zerbrochene Ziegel liegen überall verstreut; zwischen den Scherben krümmen und winden sich Seidenraupen, winzige, verbrennende Feuergestalten. Durch den Rauchnebel sehe ich Carmilla am anderen Ende des Flurs. Im
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