Feuerfrau
Erleichterung kam augenblicklich. Jetzt, wo mir so viel auf der Seele lag, war ich froh, daß er mich aufheiterte. Im Grunde hat er recht, dachte ich. Die Fäden, die mich mit Casa Monte verbanden, hingen locker. Nur mein Geheimnis war noch eng mit diesem Haus verknüpft. Ich mußte den Knoten lösen, mich davon befreien, bevor ich endgültig Abschied nahm. Manuel drückte mich fester an sich.
»Erzähl mir von dieser Sache. Wie war es genau?«
Das Kribbeln unter meiner Schädeldecke verlagerte sich tiefer, in das Rückgrat. Es war, als ob er meine Gedanken las. Das Zimmer glühte und funkelte um mich herum; ich überließ mich dem streichelnden Feuer. Etwas wurde in mir geweckt; Erinnerungen, die tief in mir verschüttet waren, ferne Bilder, Farben und Geräusche. Und es war eigentlich ganz einfach, die Zeit aufzunehmen und wieder aufzuspulen, bis zu dem Beginn der Geschichte. Es war in weiter Ferne, dort, wo eine Stimme sang. Eine zärtliche Stimme, heiser und weich, hell und dunkel zugleich.
»A la feria de l’est
per due soldi
un topolino mi padre mi compro…«
»Ich war zehn Jahre alt«, begann ich, »und verbrachte die Ferien bei Nonna. Seit zwei Jahren wohnten wir in Milano. Mein Vater hatte genug Kapital auf die Seite gelegt und seinen eigenen Verlag gegründet. Ich war noch ein Kind, aber ich spürte Carmillas Unzulänglichkeit. Unser Kräfteverhältnis verschob sich recht früh, zu meinen Gunsten. Meine Fragen waren stets unbeantwortet geblieben, weil sie aus anderen Welten kamen. Das zu wissen, war eine bittere Erfahrung; sie machte, daß ich bald einen ziemlich starken Grad von Sicherheit erlangte. Carmilla war weltfremd, innerlich unrealistisch. In Milano verbummelte sie ihre Zeit in Boutiquen, Kunstausstellungen, Modeschauen. Solche Dinge machten ihr Spaß. Die Ferien verbrachte sie in Portofino oder weiter südwärts, auf Capri oder Elba. Im Winter gingen meine Eltern nach Cortina d’Ampezzo.
Mich brachten sie nach Montereale Celina; ich wollte immer bei Nonna sein. Carmilla hatte nie etwas dagegen; ich glaube sogar, sie war froh, daß sie mich los war. Ich war ihr im Weg, schon damals.
Ich bin also zehn. Es ist der fünfzehnte August. Carmilla ist am Vorabend gekommen, um mich nach Milano zurückzuholen. Sie war eine Woche auf Capri; ihre Haut ist golden getönt. Sie trägt ein Schürzenkleid aus brauner Seide, lächelt unverbindlich und mädchenhaft, spielt ›Ferien auf dem Land‹. Ich will nicht von Nonna weg. Wir bleiben keinen Tag länger als nötig, sagt Carmilla. Diese Hitze hier, die Mücken und der ewige Jauchegestank! Du mit deinem fein ausgeprägten Geruchssinn, wie kannst du das nur aushaken? Da ruft mein Vater an: Über Milano ist ein starkes Gewitter heruntergegangen, mit Wolkenbrüchen und Hagel. Straßen sind überschwemmt, ein Verkehrschaos verstopft die Innenstadt. ›Also, dann warten wir bis morgen‹, sagt Carmilla. ›Hoffentlich verschont uns das Gewitter. Ich fahre nicht gern Autobahn, wenn es regnet.‹
Das Gewitter kam. Das schlimmste Unwetter seit einem Jahrzehnt, stand in den Zeitungen zu lesen. Die Flüsse traten über die Ufer, in Longarone gab es einen Erdrutsch, die Äcker wurden verwüstet und die ganze Traubenernte vernichtet.
Ich liebe Gewitter. Als die ersten Wolken aufziehen und Fabrizio mit dem Traktor vom Feld kommt, laufe ich durch das Tor nach draußen. Die Dogge Cesare trabt hinter mir her. Naßgeschwitzt laufe ich die Straße hinauf; etwas weiter oben, gleich hinter Linas Haus, fällt der Hügel plötzlich ab: Mari überblickt das ganze Tal, die Rebstöcke, die Maulbeerhaine und die Felder. Ich habe noch nie eine derartige Hitze erlebt; der Boden brennt unter den Füßen. Es ist, als ob die Steine platzen würden. Ein Geruch nach Sturm liegt in der Luft. Und was für ein Himmel!
Die Wolken hängen wie ein Mantel um die Berge. Manche schimmern bronzegelb, andere grünlich; sie sehen aus, als ob sie aus den Bäumen emporbrodeln. Die niedrigen Wolken segeln schnell; die hohen, fast schwarzen bleiben am Himmel zurück, als hätte der Wind sie plattgedrückt.
Ab und zu kommt die Sonne zum Vorschein, matt wie eine Silberscheibe.
Dabei ist alles totenstill. Die ganze Welt scheint den Atem anzuhalten. Kein Zweig rührt sich, keine Vogelstimme erklingt, kein Flügelschlag ist in den Büschen zu hören. Nur die Grillen zirpen, seltsam eindringlich, fast schrill.
Cesare hechelt, schnüffelt in den Gräsern, läuft unruhig hin und her. Sein Fell fühlt
Weitere Kostenlose Bücher