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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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von Gelegenheitsarbeiten, bei der Weinlese oder der Ernte. Und wie alle feinfühligen Menschen sind sie begabte Künstler: Bildhauer, Maler, Filmemacher, Fotografen.
    Autodidakten natürlich, wie wahre Künstler es ja sind. Am meisten kennt man sie als Musiker und Tänzer. Der große Django Reinhardt war ein Manouche. Wassilio hat ihn noch gut gekannt.«
    Die Rhone floß träge unter Eukalyptusbäumen. Weiter südwärts wurde das Wasser klar wie Kristall, schäumend und glitzernd. Avignon kam in Sicht, mit seinen Festungsmauern, seinen Türmen und Bastionen. Bei Arles hielten wir an, machten einige Bewegungen, um unsere Gelenke zu lockern, und teilten uns eine Flasche Mineralwasser. Jetzt saß ich wieder am Steuer, da ich die Strecke kannte. Die Sonne überflutete die Landschaft, die immer weiter und flacher wurde.
    »Das ist schon die Camargue«, sagte ich rauh. »Es ist nicht mehr sehr weit jetzt.«
    »Da sind ja Reisfelder«, stellte Manuel überrascht fest.
    »Ja. Die Süßwasserweiher wurden vor ein paar Jahrzehnten angelegt.
    Heute bezieht Frankreich fast seinen ganzen Reisbedarf aus der Gegend.«
    Die Ebene zog sich hin, nur hier und da von dunklen Zypressen und Tamarinden wie mit Bändern durchzogen. Bläulicher Dunst flimmerte über dem salzglitzernden Boden. Immer wieder überholten wir die großen Wohnwagen des fahrenden Volkes, die in einer Staubwolke dahinkrochen.
    »Können sie eigentlich anhalten, wo sie wollen?« fragte Manuel.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du machst dir von den Schikanen keinen Begriff! Sie haben ihre zugewiesenen Lagerplätze – meistens auf einer Müllhalde. Wenn sie kommen, müssen sie zuerst zur Gemeinde, um das Baro Lil – das Reisebuch – stempeln zu lassen. Das gleiche bei der Abfahrt. Kommen sie nach Büroschluß oder am Wochenende an, zahlen sie eine Buße. Damit sie nicht zu lange am gleichen Ort bleiben, nimmt man ihnen eine besondere Taxe ab, die von Tag zu Tag erhöht werden kann. Um Kinderzulage zu beziehen, müssen sie ein Schulbesuchs-Attest vorweisen. Aber wie sollen Nomaden ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken? Auch dürfen ihre Wohnwagen nie in der Nähe einer Schule stehen. Das Verbot stammt noch aus der Zeit, als man die Romanos verdächtigte, Kinder zu rauben. Ein Arzt weigerte sich, ein krankes Nomadenkind zu behandeln mit der Begründung, die Romanos ziehen ja weiter und zahlen nicht. Ein Mann bat vergeblich, seinen Wohnwagen ein paar Stunden länger stehenzulassen, weil seine Mutter operiert wurde. Der Mann kam ins Gefängnis. Als man ihn fünf Tage später entließ, war seine Mutter tot, der Wohnwagen beschlagnahmt, seine Frau und die Kinder waren obdachlos.«
    »Viele ertragen es einfach nicht«, sagte Manuel, »daß gewisse Menschen vom vorgeschriebenen Weg abweichen. Sie fühlen sich persönlich beleidigt, in ihrer Sicherheit bedroht.«
    »Ach, das waren nur ein paar Beispiele«, warf ich ein. »Es gibt noch Schlimmeres…«
    Meine Phantasie wurde auf einmal so deutlich, daß ich Schmerzen spürte, es überlief mich kalt.
    »Keine Tragödie blieb dem fahrenden Volk erspart. Hunderttausende wurden im Mittelalter verbrannt. Ebenso viele kamen im Zweiten Weltkrieg in den Gaskammern der Nazis ums Leben. Sogar in der biederen Schweiz der fünfziger Jahre wurden die Kinder der Yenisch ihren Eltern entrissen und in Heimen großgezogen. Kirche und Staat gaben ihren Segen dazu.«
    »Das hat sich doch heute wohl hoffentlich gebessert?«
    »Im Gegenteil. Die Hetzjagd nimmt wieder zu. Die Nomaden werden zu Tode geprügelt, mit Sprengkörpern in die Luft gejagt, das liegt gerade im Trend. Heutzutage gestikuliert ja jeder Idiot mit Bomben. Vieles kommt gar nicht an die Öffentlichkeit. Das fahrende Volk hängt solche Sachen nicht gern an die große Glocke. Aus Hochmut oder Gewohnheit, oder beides zusammen, was ein großer Fehler ist.«
    Manuel nickte.
    »Ich als Indianer kenne das. Auch wir wurden mit ziemlicher Systematik ausgerottet. Ich weiß, wohin die Verzweiflung stolze Menschen führt, wenn ihr Lebensmut gebrochen ist. Man kann auch aus Verachtung Selbstmord begehen…«
    »Wenn alle ihre Köpfe abwenden, ihre Augen und Ohren verschließen, dann ändern sie die Dinge nie«, seufzte ich. »Zum Glück sehen die Nomaden das ein. Einige fähige Leute leisten gute politische Arbeit und rütteln die Medien auf. Aber Kollektivängste lassen sich nicht von heute auf morgen abbauen.«
    »Sicher nicht. Wir fürchten uns vor Menschen oder Dingen, die wir mit

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