Feuerfrau
Löcher in den Sand, sondern bauen ihr Nest auf der Bergspitze.«
33. KAPITEL
D er Wecker klingelte schon um halb fünf. Schnell eine warme Dusche.
Und eine Tasse starken Kaffee, um wach zu werden. Dann packten wir rasch unsere Reisetasche fertig. Es war dunkel und kühl, als wir Paris auf dem Boulevard Peripherique in südlicher Richtung verließen. Da kein Mond schien, schimmerten die Sterne hell. An der Mautstelle zog ich ein Ticket und fuhr dann wie üblich – mit Höchstgeschwindigkeit auf der Überholspur. Der Verkehr war noch flüssig, aber auf der Gegenfahrbahn stauten sich bereits die Fernlastzüge, die Obst und Gemüse nach Rungis brachten.
Bei Sonnenaufgang hatten wir Montargis hinter uns gelassen und frühstückten in einer Autobahnraststätte. Ein Tablett in der Hand, mußten wir nach schwammigen Croissants und fadem Milchkaffee anstehen, umgeben von Lastwagenfahrern, die alle das Bedürfnis hatten zu rauchen.
Nach der Frühstückspause löste mich Manuel am Steuer ab. Ich kuschelte mich auf den Beifahrersitz, zog die Schuhe aus, um es bequemer zu haben.
Manuel lenkte den Wagen in seiner gleichmäßigen Art, hörte leise Musik.
Ich schlief augenblicklich ein und wachte erst auf, als Manuel an einer Mautstelle anhielt, um die Gebühr einzuwerfen. Ich streckte mich und gähnte.
»Wo sind wir?«
»Bei Nervers.«
»Wir sind großartig durchgekommen!«
Er kniff ein Auge zu.
»Weil ich ein guter Fahrer bin.«
Wir fuhren in den Süden. Die Farben der Landschaft wurden kräftiger, leuchtender. Die Ernte war schon eingebracht, die Stoppelfelder glänzten golden. Die Loire zog sich unter silbrig-grünen Pappeln dahin, smaragdfarben und seltsam lebendig, wie ein Drachenleib. Von Lyon waren nur Wohnsilos und Industrieanlagen zu sehen. Wir verloren einige Zeit in einem Stau, doch nach der Umfahrung war die Autobahn wieder frei. Wir sahen auf dunkle Hügel und Weinberge. Die ersten Zypressen zogen am Horizont auf, wie schwarze Säulenreihen. Nach St. Etienne verließen wir die Autobahn, fanden in einem Dorf ein Restaurant mit einer Terrasse unter schattigen Bäumen. Es war noch reichlich früh zum Essen.
An der Theke standen nur ein paar Gäste, die einen Aperitif tranken. Die Wirtin schlug uns Suppe, Hummerterrine und Fisch in Blätterteig vor.
Wein bestellten wir nicht, nur Wasser. Ich nahm meine Sonnenbrille ab, saß still eine Weile da. Eine Pause trat ein. Schließlich brach ich das Schweigen.
»Ich mag diese Art von Restaurants recht gern.«
Manuel beugte sich über den Tisch und legte seine Hand auf meine.
»Du brauchst nicht zu reden, wenn du nicht möchtest.«
Ich drehte die Hand um. Unsere Finger schlangen sich ineinander.
»Manchmal… an manchen Tagen, da muß ich viel denken.«
Er nickte ernst.
»Ja, ich weiß.«
Schrilles, tumultartiges Gezwitscher tönte aus dem Laub der Bäume; es mußte sich eine ungeheure Zahl von Vögeln darin niedergelassen haben.
Der Lärm schmerzte mir in den Schläfen. Die Suppe rührte ich kaum an, aß ein wenig Tomatensalat. Die Hummerterrine war würzig, der Blätterteig leicht und duftig.
»Im Grunde ist das Essen gut«, sagte ich.
Er lächelte.
»Es schmeckt mir ausgezeichnet.«
»Auch wenn ich nichts sage?«
Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
»Auch dann.«
Die meisten Tische waren inzwischen besetzt, die überlastete Wirtin bekam ein rotes Gesicht. Wir bestellten einen Espresso und machten uns wieder auf den Weg. Zu Mittag hatte der Verkehr auf der Autobahn stark nachgelassen. Valence. Montelimar. Orange. Oft überholten wir Wohnwagen der Romanos, von altmodischen Mercedes oder amerikanischen Wagen, chromglänzend und antiquiert, in schwerfälligem Tempo gezogen.
»Wie kommen sie zu solchen Schlitten?« fragte Manuel belustigt.
Ich lachte.
»Viele bilden sich ein, die Romanos wollten damit große Töne spucken.
Klar haben sie Freude am Brimborium, ihr Leben ist karg genug. Aber darüber hinaus sind sie praktische Menschen, das liegt in der Natur der Nomaden. Lieber kaufen sie einen teuren Wagen, der einiges aushält und eine Generation überdauert, als ein Modell, das in der nächsten Saison auseinanderfällt.«
»Klingt einleuchtend. Aber woher nehmen sie das Geld?«
»Jeder Klan hat mehr oder weniger sein eigenes Gewerbe. Die Yenisch sind Korbmacher, die Kalderach Schmiede, die Sinti Pferdehändler und Zirkusartisten: die berühmte Bouglione-Familie gehört zu den italienischen Sinti, den ›Piemontesi‹. Viele leben
Weitere Kostenlose Bücher