Feuerfrau
Ort sein, wo wir zufrieden sind.«
»Ja, ich verstehe«, nickte Jorge. »Auch ich könnte überall leben, auf der ganzen Welt, wenn ich nur meine Gitarre habe. Ich empfinde es wirklich so«, setzte er hinzu, und seine großen dunklen Augen wurden nachdenklich. »Musik ist niemals ein bloßer Zeitvertreib, sondern ein Austausch, ein Dialog. Das Publikum besteht ja aus vielen individuellen Menschen. Aber wenn wir Musik machen, entsteht plötzlich etwas sehr Merkwürdiges, eine andere Art von Gemeinschaft.«
Eleni sagte:
»Selbst wenn das Publikum wenig oder nichts von der Partitur versteht, so kann es doch Dinge aus der Musik heraushören, die zu ihm sprechen.
Beim Schlußbeifall sehen wir manchmal, wie die Zuhörer sich freundlich anblicken, sich zulächeln. Die Musik scheint alle auf wunderbare Weise zu versöhnen.«
»Dann wissen wir, daß wir mit dem Herzen gespielt haben, und sind glücklich«, stimmte Jorge ihr zu.
Eleni ging selten an die Sonne und war auch in diesem Sommer nicht braun geworden. Ätherischer denn je, beobachtete sie Manuel mit ihren grünen Nixenaugen, auf ihren ungeschminkten Lippen lag ein Lächeln.
Eleni und Jorge waren nicht stur mit sich selbst beschäftigt. Ihre Beziehungen zu anderen Menschen waren aufrichtig. Wir waren sehr glücklich miteinander und sprachen fast den ganzen Abend über Musik.
Und dann – ein paar Tage später – saßen Eleni und ich bei Ladurée und tranken eine heiße Schokolade. Eleni trug schon einen Angorapullover. Ihr Haar war mit einem schwarzen Samtband im Nacken befestigt. Ich sagte:
»Bevor ich Manuel kannte, war mir nie in den Sinn gekommen, daß ich einsam war. Doch jetzt habe ich den Eindruck, daß ich sehr einsam gewesen sein muß.«
»Du suchst dir bei deinen Liebhabern keineswegs immer den gleichen Typ aus«, stellte Eleni sachlich fest. »Und du hast schon recht, dieser ist nicht wie die anderen.«
»Du magst ihn?«
»Er ist sehr menschlich. Jorge ist nahezu verliebt in ihn. Er sagt mir immer wieder, du, das ist ein feiner Kerl! Viele Männer denken in erster Linie männlich, was von einer Frau den Stoizismus verlangt, den du nicht hast. Eigentlich ist er viel zu schade für dich. Er sollte eine Frau und Kinder haben und ein geordnetes Leben führen.«
»Er sagt, das würde ihn entsetzlich langweilen.«
Eleni legte ihre glatte Stirn in Falten.
»Warte nur ab, das kann sich noch ändern. Ist er eigentlich jünger als du?«
»Nur drei Jahre.«
»Komisch, sein Alter läßt sich nicht schätzen.«
»Ich hätte mir nie träumen lassen«, sagte ich, »daß mir einmal so viel an einem anderen Mann liegen würde. Außer Amadeo war mir bisher keiner gewachsen. Es ist eine Frage der Intelligenz, nehme ich an.«
»Und wie steht es heute mit deinen Gefühlen für ihn?«
»Für Amadeo? Ich will dir etwas sagen, Eleni, etwas, das dir vielleicht sonderbar vorkommt: Seitdem ich mit Manuel zusammenlebe, sind meine Gefühle für Amadeo fast noch tiefer geworden. Siehst du, ich werde nie eine Frau wie alle anderen sein, die sich an traditionelle Spielregeln halten.
Ein für alle Mal, die sind nicht für mich gemacht.«
Eleni lachte laut, wie Anghelina.
»Mein Gott! Viele Leute können soviel Ungezwungenheit nicht ertragen.«
»Ich bin immer frei gewesen und kann nur mit freien Menschen etwas anfangen. Die anderen langweilen mich zu Tode.«
Sie hörte auf zu lachen, nippte behutsam an ihrer Schokolade. Sie mochte keine zu heißen Getränke.
»Wann triffst du dich mit Amadeo?«
»Nächste Woche. Er ist jetzt in Les-Saintes-Maries-de-la-Mer. Mir stehen noch vier Tage Urlaub zu.«
»Und Manuel?«
»Manuel kommt mit.«
Sie hob ihre schöngeformten, flaumigen Brauen.
»Viele Männer erwarten gewisse Rücksichten, sonst jagt es sie in die Flucht. Das scheinst du nicht bedacht zu haben.«
»Ich glaube nicht, daß Amadeo es fertigbrächte, Manuel zu kränken. Er hat eine besondere Art von Unangreifbarkeit.«
»Kennst du ihn wirklich so gut?«
Mein kleiner Silberlöffel klirrte an der Tasse.
»Nun ja«, sagte ich schwach, »Amadeo hat mir schließlich grünes Licht gegeben.«
»In Liebesdingen ist man nie völlig sicher. Manche können ihre Eisen nicht rechtzeitig aus dem Feuer holen.«
»Amadeo ist kein Heuchler.«
»Manuel auch nicht. Und wie steht es mit dir? Kannst du dabei neutral bleiben?«
Meine Stirn wurde plötzlich klamm. Es war heiß in diesem Cafe voller Menschen.
»Ich weiß nicht recht, Eleni. Manchmal komme ich mir vor, als
Weitere Kostenlose Bücher