Feuerfrau
Buschwald entgegen. Constantins tiefe Stimme klang undeutlich durch das Dröhnen des Motors.
»Meine Burschen haben nur das Fest im Kopf. Einer hat das Gatter nicht geschlossen. Quasimodo war nicht auf der Weide. Das kam mir verdächtig vor. Schließlich fand ich ihn. Er hatte sich bis zu dem «Mas«
geschleppt, als ob er dort Hilfe suchte. Das Pferd braucht eine Spritze.«
»Kommt nicht in Frage«, zischte Amadeo.
Constantin sprach unbeirrt weiter.
»Ich habe den Tierarzt angerufen. Dr. Roussell ist in Aigues-Mortes.
Ein Notfall. Seine Frau wird ihm Bescheid sagen. Ich habe Nicolas bei dem Pferd gelassen, damit jemand da ist, falls der Arzt früher kommt.«
Amadeo preßte die Lippen zusammen und schwieg. Feuchte Luft drang durch das schlecht schließende Fenster und kühlte unsere Wangen. Der Wagen fuhr in den Lichtkegel der Scheinwerfer hinein, ließ die schmale Straße hinter sich, schob sich rumpelnd der »Roubine« entlang. Hier wurde der Boden weicher. Die Räder rollten jetzt über Sand. Das Wasser glänzte schwarz. Das jenseitige Ufer lag unsichtbar in der Dunkelheit. Der abnehmende Mond hing über dem Schilf, blaß wie eine Erscheinung.
Endlich tauchten die großen Schirmpinien auf, schwarz gegen den Nachthimmel. Eine Gestalt kam, eine Taschenlampe schwenkend, durch die Dunkelheit auf den Wagen zu. Constantin schaltete herunter, hielt an; Amadeo schob die Beine aus dem Wagen, war schon draußen. Wir stiegen hinter ihm aus, schlugen die Wagentür zu. Constantin stellte den Motor ab.
Es wurde plötzlich sehr still.
Nicolas sagte ein paar Worte, die ich nicht verstand. Der schwache Strahl der Taschenlampe richtete sich auf eine schwarze Masse, die auf dem Grasboden neben dem Tor lag. Sie kam mir wie ein riesiger schwarzer Felsblock vor, bis ich sah, daß dieser Felsblock zuckte und atmete.
»Weg mit dem Licht«, knirschte Amadeo.
Nicolas knipste die Taschenlampe aus. Amadeo kniete neben dem Pferd nieder, strich über den mächtigen Kopf, rief halblaut seinen Namen.
Quasimodo ließ ein Schnauben hören. Sein Schweif bewegte sich schwach, er machte eine Bewegung, wie um sich aufzurichten. Ein beißender Geruch verbreitete sich in der Luft. Nach ein paar Atemzügen lag das Pferd wieder ruhig. Die Stille war jetzt nur noch von den leisen Geräuschen der Nacht unterbrochen: Zweige rieben aneinander, der Wind seufzte im Schilf. Und plötzlich hörte ich aus dem tiefen Buschwerk eine Eule rufen, einmal und noch einmal. Ein Frösteln überlief mich. Es war die Stimme der Eule, die die Sterbenden ruft – und es klang wie eine Frage, auf die sie eine Antwort erwartete.
Ich kauerte mich neben Amadeo nieder, im kalten Gras. Das Pferd war von Krämpfen geschüttelt; unter ihm hatte sich eine stinkende Lache gebildet, mit Blut und Schleim gemischt.
Amadeo kniete dicht neben dem Kopf des Tieres. Mit den Nägeln strich er leicht und zärtlich über die Stirn zwischen den Augen. Er neigte sich über das Pferd, sprach leise, tröstende Worte zu ihm. Röchelnder Atem stieg aus Quasimodos gepeinigten Lungen. Das Pferd krümmte sich manchmal, wölbte den Hals und streckte den Kopf verzweifelt aufwärts, während seine großen, glänzenden Augen fast aus den Höhlen traten. Dann beruhigte es sich unter Amadeos Liebkosungen, fiel kraftlos auf die Flanke zurück. Amadeo fuhr fort, leise zu ihm zu sprechen. Zum ersten Mal sah ich, wie verzweifelt er war. Quasimodo war sein wahrer Freund, sein Gefährte, der ihn in seiner Zärtlichkeit und seiner Kraft niemals verletzt, niemals enttäuscht hatte. Er konnte nicht mit einem Schlag – unter seinen Augen – auf diese qualvolle Weise enden. Amadeo hob plötzlich den Kopf.
Ich sah das dumpfe Elend in seinem Gesicht, den Schmerz und die Verzweiflung in seinen Augen. Kaum hörbar stieß er hervor:
»Wassilio hatte mich gewarnt. Es ist meine Schuld…« Er hatte nicht auf Wassilio gehört, obwohl er wußte, daß der alte Mann dem Pferd das Sterben erleichtert hätte. Wassilio kannte die Geheimnisse der Körner, Wurzeln und Pflanzen, jene Mittel, die Gesundheit herbeiführen oder Sterbenden einen friedlichen Tod bescheren. Ja, Wassilio hätte helfen können. Aber Amadeo hatte die Wahrheit von sich gewiesen. Quasimodos Leben hatte längst begonnen, sich der Dunkelheit, dem Staub und dem Vergessen entgegenzuneigen, weite, schwebende Horizonte zu umkreisen.
Er, Amadeo, hatte seine Augen und Ohren verschlossen. »Quasimodo ist unsterblich«, hatte er mir oft gesagt, und ich
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