Feuerfrau
Flattern die Luft. Die Eule glitt durch die Nacht, verschwand am Sternenhimmel, wie ein weicher, riesengroßer Schmetterling. Es war, als ob sie, unter ihren samtenen Flügeln verborgen, den Geist des verstorbenen Tieres in die saphirblaue Weite trug.
Ich spürte eine Bewegung neben uns; Constantin und Nicolas entfernten sich ohne ein Wort. Die Flöte war verstummt, das Glitzern der winzigen Spiegel erloschen. Auf einmal war auch Manuel nicht mehr da. Ich hatte nicht gehört, wie er ging. Sein Schatten, dunkler als die Nacht, war zwischen den Bäumen verschwunden. Nur Amadeo und ich kauerten jetzt neben dem leblosen Körper am Boden. Ich glitt mit der Zunge über meine Lippen und schmeckte salzigen Schweiß. Amadeos Hand fuhr fort, sich auf dem klebrigen Fell hin und her zu bewegen, als ob Quasimodo die Liebkosung noch spüren konnte. Das Gewicht der Verzweiflung, das ihn niederdrückte, war kaum faßbar. Quasimodo hatte nicht das Recht, in dieser Gefühlslosigkeit, dieser Starrheit zu verharren, während er seinetwegen litt, in einem Maße litt, wie er zuvor nur einmal, vor vielen Jahren, geahnt hatte, daß es so sein konnte: damals, in Paris, als er glaubte, mich für immer verloren zu haben.
Die Augen des Rappen, von den langbewimperten Lidern halb überzogen, waren bereits gebrochen. Ein paar Augenblicke verstrichen; plötzlich zog Amadeo schnell Luft ein. Er hob den Kopf. Unsere Augen trafen sich, und ich sah, daß er weinte.
Sekundenlang saß ich völlig unbeweglich da, starrte ihn an. Etwas in meinem Kopf begann zu pochen, zu glühen. Ich wußte nicht, was es sein konnte, dieses krampfhafte Schlucken, dieses Ziehen in der Kehle. Ich keuchte wie eine Ertrinkende, eine innere Verkrampfung schüttelte mich.
Fassungslos, betäubt merkte ich, wie sich ein Schleier über meine Augen senkte, ähnlich dem, der die Pupillen des toten Pferdes überzog. Dann hob ein langer, rauher Seufzer meine Brust. Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, gab ich mich den Tränen hin.
»Herzblume…«
Ich hörte Amadeos Stimme; sie kam von weither, durch das Geräusch meines eigenen Keuchens. Wir suchten einander, Amadeo rutschte zu mir hin, auf den Knien. Er zog mich in seine Arme, preßte mich an seine Brust.
Ich schlang die Arme um seinen Hals, schmiegte mein nasses Gesicht an seines. Wir hatten niemals geweint – weder er noch ich –, nun schluchzten wir beide wie verlorene, verzweifelte Kinder. Das Zittern des einen übertrug sich auf den anderen, und bald wiegten wir uns leicht in unserem Schmerz vor und zurück. Allmählich versiegten die Tränen; unsere Gesichter und Körper fühlten sich etwas kühler an. Amadeo ließ mich sachte los, um mit dem Handrücken über sein verweintes Gesicht zu fahren.
Ich suchte mein Taschentuch und putzte mir die Nase. Aufseufzend wandte Amadeo die Augen von dem toten Pferd ab und richtete sie auf mich. Die Falten um seinen Mund waren tief wie die Einschnitte eines Messers.
»Jetzt hat er keine Schmerzen mehr«, sagte er dumpf. »Er ist ›auf der anderen Seite der Landschaft‹. Er wird ewig galoppieren und nie müde werden, über weite Steppen, durch Zeit und Raum.«
Ich nickte. Mir war elend zumute.
»Die Trennung zwischen Leben und Tod ist eine Illusion, Amadeo. Es ist der Verlust, der so entsetzlich schmerzt. Nur der Verlust…«
»Nun gehört er zu den ›Wesen aus dem Nichts‹«, fuhr Amadeo fort.
»Sie sind unsere Eltern im geistigen Sinn. Und solange ihr Andenken bewahrt wird, beschützen sie uns. Das gilt für Tiere ebenso wie für Menschen. Erklären kann es niemand. Absolut niemand. Es ist ja auch nicht nötig.«
Er erhob sich und nahm meine Hand.
»Komm!«
In der Dunkelheit wanderten wir den Kanal entlang; es war, als ob die Natur sich enger um uns zusammenschloß, uns mit kühler Luft und frischen Düften umgab. Ein Gewirr von Geräuschen zog durch das Unterholz: Es war ein Knistern und Prasseln, ein Rauschen von Blättern und Wasser, das hier und da von dem Plätschern eines springenden Frosches, einem leisen Piepsen oder Flügelschlagen unterbrochen wurde. Der Mond stand jetzt tief am Himmel und leuchtete nur schwach. Manchmal stürzte eine Sternschnuppe dem Horizont zu. Bald wurden hinter dem Buschholz die weichen Linien der Dünen sichtbar. Das Meer schaukelte leise; der angeschwemmte Tang straffte sich, wenn die Wellen mit leisem Zischen über den Sand litten; die Oberfläche des Wassers war, jetzt, wo der Mond unterging, tiefschwarz.
Ein Nachtvogel
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