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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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eigenes Pferd hat, einen Rappen. »Er ist von der alten spanischen Rasse, die für den Stierkampf gezüchtet wird. Er hat eine Ausbuchtung auf der Stirn. Das bedeutet, daß er ein großes Gehirn hat. Er hat auch einen Rückenwirbel weniger als andere Pferde, was ihn besonders beweglich macht.«
    »Wie heißt er?«
    »Quasimodo. Viele glauben, er sei mißgestaltet, deswegen. Aber er hat mehr als Menschenverstand. Ich rede mit ihm wie mit einem Freund.«
    »Wo ist er? Kann ich ihn sehen?«
    »Er ist nicht hier. Ich habe ihn bei einem Freund gelassen, auf einem Gutshof bei Les-Saintes-Maries-de-la-Mer.«
    Er erzählt mir, daß der spanische Gitano, der ihm Quasimodo verkaufte, den Rappen gestohlen hatte. Ihn kümmerte das wenig.
    »Ein schönes Pferd gehört dem, der es am meisten liebt.«
    »Bist du auch ein Gitano?« frage ich.
    Er zeigt sein schnelles, blitzendes Lächeln.
    »Ich lebe mit ihnen. Und wenn man zehn Jahre mit dem fahrenden Volk verbringt, da bleibt eben was hängen.«
    Ich will wissen, ob seine Eltern auch Zirkusleute sind. Jetzt grinst er höhnisch. Nein, er stammt aus Foix, einer Kleinstadt bei Andorra. Eine alte Familie mit Stammbaum und beschissenen Traditionen. Sein Vater ist Rechtsberater, sein älterer Bruder hat einen Lehrstuhl am Institut Pasteur.
    Sein zweiter Bruder ist Priester. Amadeos Großvater, ein Hauptmann, war mit de Gaulle im Exil. Die Großmutter war in einem Schloß groß geworden. Sie ging nie zur Schule, sie hatte Gouvernanten, die sie unterrichteten. Idiotisch, sagt er, und beißt die Zähne zusammen. Ich frage, was seine Eltern dazu sagen, daß er beim Zirkus ist.
    »Das geht sie einen Dreck an.«
    »Hattest du Krach mit ihnen?«
    Er zieht wütend die Nase kraus, da sieht er plötzlich viel jünger aus, als er ist.
    »Krach? Zum Verrecken, nein, das war ein Kampf auf Leben und Tod, mit Endstation Erziehungsanstalt. Ich konnte abhauen, bevor sie Hackfleisch aus mir machten. Und ich glaube kaum, daß ich vermißt werde. Seit zehn Jahren haben meine Herrschaften nichts mehr von mir gehört. Die glauben, ich sitze im Knast.«
    Ich denke, auch du bist etwas Besonderes. Ich habe es gleich gemerkt, an der Art, wie du sprichst. Du formst einfache Sätze für einfache Menschen, du versetzt dich – sozusagen – auf ihre Stufe. Und dann plötzlich kommen ganz andere Wörter aus deinem Mund. Du folgst verwickelten Gedankengängen; sie sind in dir, in den tiefen Schichten der Erinnerung, du bringst sie nur zum Vorschein. Wer bist du eigentlich?
    Ohne nachzudenken, weiß ich, daß deine Verhaltensweise etwas Außergewöhnliches ist.
    »Warst du böse?« frage ich.
    Er denkt darüber nach; ziemlich lange. Schließlich sagt er:
    »Die Bosheit ist wie die Liebe: Sie kommt über dich, und plötzlich ist sie da. Erst wenn du sie empfindest, verstehst du sie, nicht vorher. Ja, ich war böse.«
    »Wann hast du damit aufgehört?«
    Er starrt mich an, eine Art Fassungslosigkeit in den Augen:
    »Aufgehört?«
    Ich streiche ihm über die Wangen. Ich liebe es, sein Gesicht anzufassen; es ist so voller Gegensätze: das schmale Adlerprofil, scharf und klar gemeißelt, die weichen Lippen, die kastanienbraune Haut und die ebenmäßigen Zähne.
    »Ich glaube nicht, daß du böse warst. Du warst anders als andere. Und weil dich keiner verstand, da hast du böse sein wollen, damit die Leute Angst vor dir kriegen. Und zum Schluß hast du es dann selber geglaubt.«
    Er schweigt, ein paar Atemzüge lang, dann schlägt er mit dem Hinterkopf an die Wand und sagt:
    »Mist! Sie versteht alles.«
    Wir sitzen, Wange an Wange, wir streicheln uns. Seine Augenwinkel sind feucht. Ich frage, weinst du? Er sagt, nur ein wenig, entschuldige, und ich weiß auch nicht, warum ich plötzlich heulen muß, ist doch blöde, bei einem Kerl. Er macht keine Bewegung, um sich die Augen zu wischen. Ich sage, ich weine nie, aber jetzt möchte ich weinen. Er sagt nein, das sollst du nicht. Ich drücke mein Gesicht an sein Hemd, ich fahre mit der Zunge über den Stoff, bis das Hemd feucht und durchsichtig wird. Er knöpft sein Hemd auf; bei jedem Knopf, den er öffnet, steigt die Hitze in mir. Er lehnt sich zurück, an die Wand. Ich sitze auf seinem Schoß, ich schmecke seinen Hals, seine Brust; er riecht nach Holzkohle, nach Harz und dazu auch noch nach dem Geruch der wilden Tiere im Zirkus. Ich schnuppere an seiner Achselhöhle, erforsche sie mit der Zunge, wühle meine glühenden Wangen hin und her, bis er mich schwer atmend packt,

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