Feuerfrau
Atmen, dann das Rinnen. Fertig. Das Mädchen ruscht vom Sitz, ihre Kleider rascheln. Sie zieht die Spülung, stößt die Tür auf, läuft hinaus. Ihre Schritte verklingen im Korridor.
»Sie hat sich die Hände nicht gewaschen«, stelle ich fest. »Das ist eine Schweinerei.«
»Noch einmal, schnell!« flüstert Eleni. »Tu mir den Gefallen!« per erste Blick, den wir tauschten, fing uns wie in einem Netz. Irgendwie mußten wir zusammenkommen. Zugegeben, Madame Poniatowska hat mich gut durchschaut: Unter gewissen Umständen werde ich rücksichtslos – eine stille, zähe Ränkeschmiederin. Ich sagte ihm, nachts werden alle Türen geschlossen. Aber die Toilette befindet sich im Erdgeschoß, da könnte ich leicht aus dem Fenster steigen. Das Problem ist nur, wie komme ich über die Mauer? Der Hausmeister hat eine Leiter, aber es ist zu umständlich, sie aus dem Keller zu schleppen. Er fragte, ob mir nicht jemand helfen könne.
Doch, sagte ich, Eleni.
»Kann sie dichthalten?«
Ich lächelte.
»Wie ein Grab!«
Er sagte, daß die letzte Vorstellung bis halb elf dauerte. Dann müsse er noch Geräte abbauen und die Tiere pflegen. Einer der Artisten habe ein Motorrad und könne ihn in die rue Francois Miron bringen. Ab Mitternacht würde er auf mich warten. Ich rede mit Eleni. Sie knetet nervös die Hände, ihre Unterlippe zittert.
»Bist du verrückt? Stell dir mal vor, wenn wir ertappt werden!«
»Dann werde ich bestraft, nicht du.«
»Ich sage dir, die Poniatowska setzt uns beide vor die Tür!«
»Dich nicht, deine Mutter bezahlt ja pünktlich das Schulgeld. Und mir ist es egal. Ich bitte dich, Eleni, laß mich nicht im Stich, sonst muß ich sterben!«
Sie zieht die Mundwinkel zusammen.
»Erzählst du mir nachher, wie es war?«
»Ja.«
»Alles?«
Ich verspreche es. Die Nacht kommt. Eleni und ich bleiben wach, liegen verkrampft im Bett, zitternd und mit kalten Füßen. Als es Mitternacht von der Kirche Saint-Gervais läutet, stehe ich auf, kleide mich an. Eleni ist schon aus ihrer Box getreten; sie trägt eine Strickjacke über ihrem Schlafanzug, ihre nackten Füße stecken in Hausschuhen. Ihr Gesicht ist blaß, sie schlottert vor Aufregung. Mit angehaltenem Atem verlassen wir den Schlafraum, verlegen das Gewicht auf die Fersen, um das Knarren der Dielenbretter zu verhindern. Wir schleichen den Korridor entlang, die Treppe hinunter, an den Klassenzimmern vorbei. Die Toilettentür ist nur angelehnt. Wir öffnen das Fenster; kühle Nachtluft schlägt uns entgegen.
Ich halte mich an der Wand fest, steige zuerst auf den Heizkörper, dann auf das Fensterbrett, schiebe die Beine nach draußen. Vorsichtig lasse ich mich abwärtsgleiten. Da – meine Füße berühren den Boden. Nun helfe ich Eleni, hinauszuklettern. Der Mond funkelt im leichten Nebel, geisterhaftes Licht strömt von ihm herab. Hof und Mauer schimmern bläulich, der Glockenturm der Kirche ist wie mit Silber übergossen. Die Mauer zieht sich wie ein Gürtel um das Gebäude, hier und dort von alten Steinskulpturen besetzt, die früher menschliche Gesichter zeigten, jetzt fast vollkommen abgebröckelt sind.
Wir stehen im Schatten. Ich bedeute Eleni, die Hände zu verschränken.
Ich sehe das Weiße ihrer aufgerissenen Augen. Atemlos flüstert sie an meiner Wange.
»Oh Gott, sei vorsichtig. Wenn er nicht da ist, komm sofort wieder zurück. Ich warte hier!«
Ich stütze meinen Fuß in ihren Händen auf, ziehe mich hoch. Eleni versucht ihr Gleichgewicht zu halten, schwankt und keucht. Ich beiße die Zähne zusammen. Meine Hände tasten höher. Die Mauer ist feucht und rissig, aber nicht – wie ich befürchtet hatte – mit Glasscherben besetzt. Mit einem Klimmzug schwinge ich mich hoch, taste seitwärts mit dem Bein, bis ich Halt finde. Jetzt sitze ich oben, spähe auf die andere Seite. Ein feuchter, etwas fauliger Geruch hängt in der Luft: Das Ufer der Seine ist nahe. Die Straße liegt einsam da, doch das Brausen des Verkehrs schallt von allen Seiten: Paris wird erst in den frühen Stunden vor Tagesanbruch ruhig. Der Mond scheint fast senkrecht, die Schattenseite steht der hellen Häuserfront gegenüber. Jetzt fährt ein Wagen vorbei, die Scheinwerfer flimmern auf dem Asphalt. Auf der anderen Straßenseite löst sich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Mein Herzschlag setzt aus, in meinem Magen flattert es wie ein Schmetterling. Ich winke Eleni zu, sie soll gehen.
Er läuft über die Straße, sein Schatten huscht neben ihm her. Dicht unter der Mauer
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