Feuerfrau
aus, indem er die Asche der Zigarre mit Tonerde vermischte und sie im Wasser verdünnte. Ich beobachtete interessiert die Prozedur. Wassilio bemerkte meinen Blick und kniff ein Auge zu.
»Das ist gut für die Zähne.«
Ich hatte keinen Grund, es zu bezweifeln: Trotz seines Alters waren seine Zähne noch weiß und gesund wie die eines Wolfes.
»Großvater, wie soll das Fohlen heißen?« fragte ich.
Wassilio hustete, stieß Rauch aus; seine Augen betrachteten mich aus dunklen Höhlen.
»Ich träumte von dir, mein Kind, und sah einen roten Stern über dir. Du warst hier, bei uns, als das Fohlen geboren wurde. STERN. So soll es heißen. Der Name hat eine Bedeutung.«
»Welche?« fragte ich.
Er nahm einen Schluck Wasser, spuckte ihn dann in das Heu. Darauf holte er ein großes Taschentuch hervor, schneuzte sich und erwiderte:
»Kind, das kann ich dir nicht sagen. Träume verrichten ihre Arbeit im Untergrund. Sie zeigen mehr, als wir erkennen können.«
Es wurde Zeit, daß ich ging. Amadeo begleitete mich zum Wagen.
Stumm gingen wir nebeneinander her. Beim Wagen angekommen, als ich den Schlüssel suchte, legte er mir die Hand auf die Schulter.
»Wir haben nur noch eine Nacht.«
Ich nickte, mit einem kleinen, schmerzlichen Lächeln. Wir schmiegten unsere kalten Gesichter aneinander.
»Ja«, flüsterte ich, »noch eine Nacht.«
10. KAPITEL
M üdigkeit schwappte in mir; alles wurde überdeutlich und verschwommen; Geräusche ließen mich zusammenfahren, zu grelles Licht traf schmerzhaft meine Augen. Die Müdigkeit war der Preis, den ich zu bezahlen hatte; dafür lag ich in deinen Armen und stöhnte unter deinen Liebkosungen. Ich fuhr im dichten Morgenverkehr, alle Straßen waren verstopft; Lastwagen stauten sich vor den Ampeln, Autos drängten aus einem der Ströme, schoben sich in einen anderen, Zentimeter für Zentimeter. Ein Geruch nach Pferd und Butangas haftete an mir. Das Mädchen, das ich gewesen war, mit dem so fein ausgeprägten Geruchssinn, das jedes Fluidum und jeden Duft erkannte, dieses Mädchen hatte solche Gerüche eingesogen, mit dem Empfinden der Liebe. Mir waren sie vertraut, doch manche mochten sie als störend empfinden.
Bevor ich zum Institut fuhr, machte ich einen Umweg zur Place de Contrescarpe. Die Haustür stand offen, Sonnenlicht fiel herein. Gegenüber vor dem Gemüsehändler stand ein Lieferwagen, ein Schwarzer trug Kisten mit Erdbeeren und Spargel heraus. Ein Taxi hielt gleich daneben, und weil die anderen Autos auch halten mußten, brach augenblicklich ungeduldiges Hupen los. Ich ging zur Concierge und holte meine Post ab. In der Wohnung waren die Jalousien halb heruntergelassen. Es roch nach Müll und kalter Asche, im Badezimmer tropfte der Wasserhahn. Einige Sachen von Martin waren noch da. Ein Pullover, den er getragen hatte, hing über der Stuhllehne. Ich ließ frische Luft in die Wohnung, stellte den Müllsack neben die Tür und wechselte die gebrauchten Handtücher. Dann zog ich mich aus und duschte mich, auch das Haar. Ich blieb lange unter der Dusche, ließ das heiße Wasser über mich prasseln, bis meine Muskeln sich locker und weich anfühlten. Dann drehte ich das Wasser ab schüttelte mich; als ich mich mit fliegendem Atem abtrocknete, sah ich meine Umrisse im beschlagenen Spiegel. Ich wischte die Feuchtigkeit weg, betrachtete mein Gesicht. Es sah kaum anders aus als sonst. Auf der glatten Stirn, den hohen Wangenknochen hatte die Müdigkeit keine Spuren hinterlassen. Doch ich nahm eine Verdunkelung der geschwollenen Lippen wahr; violette Schatten ließen die Augen größer und fast gelb schimmern.
Mit einem flüchtigen Lächeln ging ich ins Schlafzimmer zurück, streifte ein T-Shirt über die klamme Haut. Ich setzte mich auf die Bettkante, zog das Telefon heran und wählte die Nummer des Instituts. Ich sagte, daß ich später kommen würde. Dann zog ich die Jalousien ganz herab und stellte den Wecker auf halb elf. Ich warf mich auf den Futon, drehte mich auf meine Schlafseite und erwachte erst drei Stunden später, als der Wecker läutete. Ich wusch mir kalt das Gesicht, machte die Kaffeemaschine an und frühstückte. Eine halbe Stunde später saß ich im Wagen und kurvte durch wenig befahrene Straßen. Als ich vor einer Ampel wartete, sah ich dein Bild auf einer Plakatwand. Ich spürte ein leichtes Schwindelgefühl, mein Herz schlug gegen die Rippen. Es hört niemals auf, Amadeo… Auch in dieser Nacht werde ich nicht schlafen, keinen Atemzug lang. Ich werde in deinen
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