Feuerfrau
erfordern Stärke und Selbstbeherrschung und dulden keine Schwäche. Das Wort »Lebenskampf« ist für die Artisten kein abstrakter Begriff, sondern ein tägliches Trotzbieten.
»Hussein wird Coralie verzeihen«, sagte Amadeo nach der Vorstellung zu mir. »Er ist ein verständnisvolles Pferd.«
Ich lächelte über seine Art, von Pferden wie von Menschen zu sprechen.
»Auch jetzt noch, nach dieser Sache?«
»Coralie hat vergessen, daß sie eine Frau ist und Hussein ein Hengst.
Ein Hengst liebt es, von einer Frau geritten zu werden. Lenkt sie ihn mit zarter Hand, gehorcht er ihr wie ein Pony. Aber auf Gewalt reagiert er mit Gewalt. Da hat eine Reiterin das Nachsehen. Du hast mit ihr gesprochen, nicht wahr? Was hat sie dir gesagt?«
Ich rieb mir die Augen, die von der rauchigen Luft im Wohnwagen brannten.
»Daß es meine Schuld sei.«
Amadeo preßte die Lippen aufeinander.
»Das sollte sie mir sagen!«
»Laß nur, es ist unbedeutend«, meinte ich.
Ein Ausdruck von Hohn glitt über sein Gesicht.
»Richtig. Ein Sprichwort sagt: Wo sich Wale begegnen, zersplittern die Garnelen.«
Er streckte die Hand aus und streichelte meine Wange. Ich drehte seine Hand um, küßte die Handfläche und bettete mein Gesicht hinein. Meine Wimpern schlugen gegen seine Finger. Seine Stimme wurde rauh.
»Der Gedanke, von dir getrennt zu sein… in einigen Stunden schon…«
Ich lächelte schmerzerfüllt.
»Wir haben allmählich Übung…«
Nicht die Trennung selbst war schlimm; wir hatten uns längst damit abgefunden. Das Schlimmste war der Schmerz, der vor der Trennung kam, das unausweichliche Gefühl, daß die Zeit nicht stillstand. Niemals stillstand.
Wir hatten mit den Artisten gegessen, das war nicht zu umgehen.
Brahim war müde und hatte die Küche in schönster Unordnung zurückgelassen. Lolas Sohn wollte Amadeo den neuen Vertrag mit seiner Filmgesellschaft zeigen. Jean hatte eine chaotische Schulzeit hinter sich, konnte noch kaum lesen und schreiben. Amadeo mußte ihm jeden Paragraphen mit einfachen Worten erklären, verschiedene Klauseln ändern, damit er nicht gutgläubig unterschrieb und übers Ohr gehauen wurde.
Inzwischen verging die Zeit. Als alle weg waren und Mitternacht längst vorüber war, fielen wir übereinander her, wie die Irren. Wir umarmten uns im Helldunkel, das aus dem Fenster fiel, liebten uns so sehr, so unerträglich, maß- und grenzenlos, daß wir nichts fanden, wie wir es ausdrücken konnten, außer durch die Sprache unserer Körper. Das Wissen, daß es so war, unablässig, seit wir uns liebten, prägte Augenblicke von solcher Wichtigkeit in uns ein, daß sie erst später, wenn sie vorbei waren, zur Wirklichkeit wurden. Der Schmerz kam mit dem Begehren, aus der Tiefe unseres Gefühls, hüllte uns ein.
»Werden wir uns niemals verlassen?«
»Nein, niemals. Niemals!«
Wir mußten uns zusammennehmen; es durfte uns nicht packen, nicht auf diese Art. Wenn wir uns gehenließen, verloren wir jede Vernunft, führten uns auf wie die letzten Esel.
»Sag, daß wir Zeit haben. Sage es!«
»Wir haben noch ein paar Stunden.«
Ich riß ihn an seinen Haaren herunter, kämpfte mich mit krallenden Händen an seinem Rückgrat entlang; er fiel über mich, wuchs langsam in mich hinein. Er atmete durch mich, durch meine Lungen. Ein Wiegen, ein Schwanken, der Rhythmus wurde zur Qual. Ich hielt mit meinen Bauchmuskeln die Zeit ab, die kommen mußte, klammerte mich verzweifelt an den nächsten Stoß und wieder an den nächsten. Flackernd öffneten und schlossen sich unsere Augen. Wie können menschliche Körper dieses Lustgefühl ertragen, ohne verrückt zu werden?
»Mehr, Amadeo, stärker!…«
»Ich töte dich, verdammt!«
»Töte mich! Ich will, daß du mich tötest!«
Da war der Gedanke, ich möchte sterben, jetzt, mit ihm in meinem Körper. Es war nicht eigentlich nötig, sich zu bewegen, nur die Atemzüge unterstrichen das stetige, unaufhaltsame Vorrücken tief in mir. Die Bewegung schwoll an und wurde zerrissen, eine perlende Krampfwelle, aufsteigend wie eine Wolke, dann ein tiefer, erschauernder Atem. Einen Augenblick fühlte ich mich fallen; seine Arme fingen mich auf. Und dann kam eine Kluft aus Dunkel, und wir lagen eine Weile ganz still.
»Herzblume, ich muß dir etwas sagen…«
Wärme. Ruhe. Feuchte Nacktheit. Die Welt kam durch seine Stimme wieder zu mir. Trotz der Nähe unserer Körper war mir plötzlich kalt.
Unsere Lebensfäden waren so eng verschlungen, daß wir jeden Aufruhr von
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