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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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aus. Das Geräusch kam tief aus seiner Brust, wie eine unsichtbare Welle, die mich erfaßte und streichelte.
    Von dem wuchtigen Tier ging eine seltsame Ausstrahlung aus, ein unbewußtes, unbestimmtes, alles durchdringendes Wissen. Und wieder spürte ich in mir, dunkel und schwer, die Wehmut aufsteigen. Ich berührte eine Welt, die einst, vor langer Zeit, die meine gewesen war. Jetzt war ich draußen; aber die Sehnsucht blieb. Sie war in uns, in Amadeo und mir, solange noch ein Atemzug unsere Venen durchpulste.
    »Quasimodo, mein Schöner«, sagte ich.
    Das Pferd stand still, horchte auf den Klang meiner Stimme; seine Augen glänzten wie schwarze Spiegel. Plötzlich senkte es den Kopf und legte ihn an meine Schulter. Amadeo lächelte. »Siehst du nur? Bei einer Fremden würde er mit den Hufen scharren.«
    Er legte Quasimodo Zaumzeug und Mundstück an und führte das Tier ungesattelt aus dem Zelt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, blauer Himmel schimmerte durch den Nebel. Amadeo führte das Tier an den Wohnwagen vorbei; ein paar Leute waren schon wach, hoben die Hand zum Gruß. Am Ufer des Kanals blieb Amadeo stehen und verschränkte die Hände. Ich ergriff die Zügel, setzte den Fuß in Amadeos Hände und schwang mich hinauf.
    »Nicht schlecht«, meinte er.
    Ich verzog das Gesicht.
    »Ich dachte schon, daß du über mich lachen würdest.«
    Er ergriff die Zügel, schlang sie um sein Handgelenk; ein einziger, leichtfüßiger Sprung hob ihn hinter mir auf den Pferderücken. Ich lehnte mich an ihn, während wir im Schritt den Kanal entlangritten. Auf der anderen Uferseite erhoben sich Baracken aus plattgeschlagenem Wellblech, verfallene Bauernhöfe und in der Ferne Hochhäuser. Rostige Kanister, Scherben und Lumpen lagen im Gras herum. Aus einer Müllhalde stiegen feine Rauchschwaden, und an einigen Stellen breitete sich stinkender chemischer Morast aus. Etwas weiter überquerte eine Eisenbahnbrücke den Kanal, man hörte das Donnern der ersten Züge. Wir bewegten uns in einer Natur, die ihren Zauber verloren hatte, in einer verstörten Stille, in der nur das Wasser mit gurgelnden Geräuschen floß, unverändert seit Jahrtausenden.
    »Man gewöhnt sich daran«, sagte Amadeo ganz selbstverständlich, als ob er in meinen Gedanken las. »Ich habe gelernt, die Welt als Szene, als Kulisse zu sehen und das wahre Leben nur im Zelt zu finden. Ich spiele mit der Vorstellung statt mit der Wirklichkeit, anders wäre es nicht zu ertragen.«
    Der eine wußte, was der andere dachte, das war schon immer so gewesen. Nach längerer Trennung verblaßte diese Fähigkeit, aber sie verschwand niemals ganz. Einige Stunden genügten, um unsere Wahrnehmung wieder in Einklang zu bringen.
    »Weißt du noch?« fragte ich leise.
    Er nickte. Wir waren hier, aber in Wirklichkeit erlebten wir eine ganz andere Geschichte, die mit diesem Ort nichts zu tun hatte. Eine Geschichte, die sich vor langer Zeit abspielte, in der sonnendurchglühten, vom Mistral gepeitschten Camargue. Wir erinnerten uns an den Salzgeruch der warmen Sümpfe, an die Schreie der Wildenten. Vor unseren inneren Augen schwebten rosa Flamingos, weiße Pferde sprengten durch das Schilf, und Stiere, schwarz wie die Nacht, mit säbelförmigen Hörnern, wanderten zwischen Gamander und Geißblatt. Ja, es war eine ganz andere Geschichte, aber auch dieser Augenblick gehörte dazu.
    »Was bedeutet das, wenn man von der Vergangenheit träumt?« sagte ich. »Für mich wird sie immer wichtiger.«
    Er lehnte das Kinn an meine Schulter.
    »Es ist ein seltsames Leben, das wir führen. Ein fiktives Leben mit einem Menschen, der nicht da ist.«
    In den Bäumen sangen Vögel, die Helligkeit nahm zu; der Himmel spiegelte sich im Wasser mit lilafarbenen, grünen und gelben Reflexen. Das Gras schimmerte weich und strahlend vor Tau. Da plötzlich spürten wir einen warmen Hauch. Mit einem Schlag entsprang den letzten Nebeln das starke, helle Licht. Alles ringsum glänzte, funkelte und strahlte, und vor uns lagen, im klaren Sonnenschein, die Häßlichkeit und der Schmutz der Vorstadt. Es war vorbei.
    Die Pferdeknechte waren schon an der Arbeit. Das Zelt war voller Lärm der rasselnden Ketten und Hufe. Amadeo rieb Quasimodo ab, brachte ihm zu trinken, indem er Kleie in das Futter mischte und ihn aus dem Eimer fütterte. Er sagte grinsend:
    »Ich fürchte, ich habe ihn etwas verwöhnt.«
    Wassilio trat zu uns. Er rauchte eine seiner scheußlichen Zigarren. Er trank Wasser dazu und spülte sich den Mund

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