Feuergipfel

Er zog seinen Revolver mit furchteinflößender Schnelligkeit und begann, sich lautlos auf das Gebüsch am Ufer zuzubewegen.
    Hunter reckte schnüffelnd die Nase in die Luft. Der Wind trug den zarten Duft von Rosmarin zu ihm herüber. Seine Hand schoß blitzschnell vor und hielt Case zurück.
    »Frechdachs«, murmelte Hunter.
    Seine Stimme war zu leise, als daß irgend jemand außer Case sie hätte vernehmen können.
    Hunter hatte schon halb damit gerechnet, daß Elyssa ihm folgen würde. Ein Teil von ihm hatte sogar sehnsüchtig gehofft, daß sie in der Nacht zu ihm käme.
    Der Gedanke, Elyssa in der Dunkelheit zurück zum Ranchhaus zu begleiten, bewirkte, daß sich sein Körper vor Erregung anspannte und sein Blut heißer durch seine Adern pulsierte.
    Achselzuckend schob Case seinen Revolver wieder in das Holster zurück.
    »Was bringt dich auf den Gedanken, daß Frechdachs und Bill Blutsverwandte sind?« hakte Hunter nach.
    »Bill hatte zuviel getrunken und wurde gesprächig. Er redete von einer Frau namens Gloria«, erklärte Case unverblümt. »Sagte, er hätte sie geliebt. Und wäre ihr Liebhaber gewesen!«
    »Kein Wunder, daß Frechdachs Bill schützen will«, murmelte Hunter. »Wenn er ihr Vater ist.«
    »Sie weiß es nicht. Das behauptet Bill zumindest.«
    Hunter wandte sich zu den Weiden um.
    »Nun, Frechdachs?« sagte er, während er gerade so laut sprach, daß seine Stimme bis zu Elyssa drang. »Hat Bill recht?«
    Einen Moment lang war nichts als Stille und der Wind zu hören.
    »Los, komm schon aus deinem Versteck heraus«, forderte Hunter sie ungeduldig auf. »Bei der Gelegenheit kannst du auch gleich meinen Bruder Case kennenIernen.«
    Das Weidendickicht schwankte und teilte sich. Elyssa trat heraus und ging in die Schatten am Fuße der hohen Pyramidenpappeln. Sie hatte keinen Blick für Case übrig, sondern sah nur Hunter an.
    Durch die Bäume fiel genug Mondlicht, um den Schock und die Bestürzung auf Elyssas Gesicht erkennen zu lassen. Ihr Ausdruck verriet den Männern, daß sie Mühe hatte, sich an die Vorstellung von Bill Moreland als ihrem Vater zu gewöhnen.
    »Ich habe es nicht gewußt«, flüsterte sie. »Aber es erklärt...«
    Ihre Stimme erstarb.
    »Erklärt was?« fragte Hunter leise.
    »Was zwischen meinem Vater und Bill schiefgegangen ist«, stammelte Elyssa. »Und warum Bill wie ein Vater zu mir war, wann immer mein Dad fort war. Was ziemlich häufig geschah. Er hielt sich kaum jemals zu Hause auf - weil er Gold suchte.«
    Hunters Augen wurden schmal. Auch er war während seiner Ehe oft fort gewesen. Zwar hatte er in der Armee gedient statt nach Gold zu suchen, aber das Ergebnis war das gleiche gewesen.
    Belinda war lange genug allein gelassen worden, um sich auf eine Affäre mit dem Nachbarn einzulassen. Und, wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte, auch noch mit diversen anderen.
    »Aber trotzdem«, flüsterte Elyssa, »fällt es mir schwer zu glauben, daß Mutter und Bill sich so ... nahegestanden haben.«
    »So etwas kommt vor«, sagte Case ruhig.
    »Ein treuloses Luder von einer Frau«, sagte Hunter kalt. »Genau wie Belinda.«
    Elyssa zuckte zusammen. »Mutter war kein ...«
    Wieder verklang ihre Stimme zu Schweigen. In Anbetracht dessen, was Bill sagte, konnte sie wohl kaum behaupten, daß ihre Mutter ihrem Vater treu gewesen war.
    »Sie war kein Luder«, sagte Elyssa. »Wahrscheinlich fand sie Bill sehr sympathisch. Dennoch hat sie auch ihren Ehemann geliebt.«
    »Zumindest haben Sie einen Freund im Culpepper-Lager«, sagte Case.
    Elyssa wandte sich zu Case um und nahm ihn zum ersten Mal richtig wahr. Sie blickte von seinen fransenbesetzten Mokassins zu Hunter, der ebenfalls Mokassins trug. Aber das war nicht die einzige Ähnlichkeit zwischen den Brüdern. Die Männer hatten die gleiche Größe, die gleiche kräftige Statur, die gleiche Art zu gehen.
    Ihr fiel der subtile Unterschied zwischen ihnen sofort auf. Case war eine schwermütige, grüblerische, reglose Erscheinung. Sie bezweifelte, daß selbst im hellen Sonnenschein jemals ein Lachen seine Augen aufleuchten lassen würde. Hunter war genauso gewesen bei seiner Ankunft auf der Ladder S.
    Aber jetzt nicht mehr.
    Inzwischen kannte sie einen anderen Hunter. Manchmal blitzten seine Augen sogar vor Lachen. Oft brannten sie vor Leidenschaft.
    Elyssa hatte eine Veränderung in Hunter bewirkt. Er konnte es noch so erbittert abstreiten, konnte sie noch so zornig anbrüllen, sie ein Luder nennen, aber sie hatte den