Feuerherz
meinen Kopf hoch und sah ihn fragend an, als er mir sein Tagebuch hinhielt.
»Magst du lesen?«
In meinen Fingern begann es zu jucken und Teufel-Lissy riss bereits heftig an dem blauen Buch.
»Bist du dir sicher?«, fragte ich und nahm es ihm ab. Er nickte lächelnd und deutete an, dass ich anfangen soll. Ehrfürchtig strich ich über das Buch, welches Ilians privateste Gedanken enthielt. Und er vertraute sie mir an. Ich schluckte einen Kloß im Hals herunter und begann zu lesen.
Liebes Tagebuch,
so fängt man doch ein Tagebuch an, oder?
Die Frage ist nur, wieso man ein Buch anspricht?
Im Nachhinein frage ich mich auch, warum ich es überhaupt gekauft habe? Vielleicht weil ich etwas loswerden muss, worüber ich mit niemandem reden kann?
Es geht um Arva. Meine beste Freundin. Da es um sie geht, kann ich nicht mir ihr darüber sprechen.
Wir haben miteinander geschlafen.
Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte?! Sie liebt Milda. In einem Moment schauen wir noch zusammen fern, im nächsten küsst sie mich. Und ich konnte nicht wiederstehen. Es ging nicht. Ich war physisch nicht in der Lage, mich von ihren drängenden Küssen loszureißen. Jetzt fühle ich mich schlecht. Nicht zuletzt, weil sie mir den Arm gebrochen hat. Es ist unglaublich, was die Weibchen für eine Kraft entwickeln! Ich bin noch zu jung und es wird dauern, bis es verheilt ist. Zum Glück war es der linke, so dass ich noch schreiben kann.
Ich bin müde und mir tut alles weh. Wie soll ich Arva jetzt nur begegnen? Sie meidet mich, weil sie ein schlechtes Gewissen hat.
Ich gehe jetzt schlafen … sofern ich das mit den Schmerzen überhaupt kann. Mama meint, dass bei Jungdrachen die gemahlenen Knochen nicht helfen. Da muss ich jetzt wohl durch.
I.
Ich sah Ilian an, doch er war damit beschäftigt dem schlafenden Roran über die Wange zu streicheln, also las ich weiter. Es folgten zwei weitere Einträge, in denen er einen Streit mit Arva beschrieb, und er tat mir in dieser Situation unheimlich leid. Ihm fehlte seine beste Freundin, der gebrochene Arm tat ihm weh und er wusste nicht, wie er mit der ganzen Situation umgehen sollte. Der Eintrag danach ließ mein Herz schneller pochen.
Liebes Tagebuch,
Arva hat mir ein Ei gebracht. Was haben wir da nur getan? Sie will nicht, dass Audrina etwas davon erfährt. Aus irgendeinem Grund hat sie panische Angst davor, dass sie unsere Brutmutter werden könnte. Vielleicht war es auch nur eine Ausrede, weil SIE keine Mutter werden wollte? Mama hat das Ei an sich genommen und es mit mir ins Feuer gelegt. Wir werden sagen, dass es ihres ist.
Ich habe die letzten Stunden damit verbracht, ins Feuer zu starren. Es ist nicht richtig so zu fühlen.
Mit mir stimmt etwas nicht.
I.
Nein, Ilian. Mit dir war alles in Ordnung gewesen. Du hattest einfach damals schon das Herz am richtigen Fleck sitzen gehabt.
Liebes Tagebuch,
Ich war heute wieder in der Schule.
Müde und mit pochenden Schmerzen im Arm bin ich in den Spanischunterricht. Der Streit mit Arva, das Ei im Feuer meiner Eltern, … das alles war zu viel für mich. Ich fühlte mich haltlos, doch dann geschah etwas Eigenartiges.
Rechts neben mir sitzt ein blondes Mädchen namens Elisabeth, aber alle nennen sie nur Lissy. Wir haben eigentlich noch nie ein Wort miteinander gewechselt, wenn ich mich richtig zurück erinnere?! Jedenfalls ist sie wohl das, was man als ausgeflippt und lebensfroh bezeichnet. Sie scheint immer eine freche Antwort parat zu haben und nimmt generell kein Blatt vor den Mund. Doch heute Morgen war etwas anders an ihr. Sie sah mir direkt ins Gesicht, als ich hereinkam. Ihre blauen Augen, sonst immer so verspielt und stets auf der Lauer, wirkten einen Moment lang traurig und besorgt. Als sie mich jedoch sah, schien sich Erleichterung in ihrem Gesicht breitzumachen. Sie musterte meinen Gips und Mitgefühl blitzte in ihren Augen auf. Verwirrt von dem, was ihr Mimikspiel mit mir anrichtete, setzte ich mich hin und vermied es sie weiter anzusehen. Was war dieses Kribbeln in meinem Bauch?
I.
Mir fehlten die Worte.
Liebes Tagebuch,
wir haben heute in Spanisch ein Liebesgedicht (Poema XV) von Pablo Nerudo übersetzt. Es ist merkwürdig, denn alles, was ich von der Stunde noch weiß ist, dass Elisabeth sich rege beteiligt hat. Ihre Worte hallen jetzt noch in meinem Kopf nach. Besonders eine Zeile: »Und ein Kuss hat, so scheint es, dir den Mund verschlossen.« Wieso beschäftigt mich das so? Wieso höre ich immer wieder ihre Stimme in
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