Feuerkind
Sorge, daß sie es merken könnten. Die bösen Männer von der Firma. »Ich weiß nicht, wieviel sie schon über dich wissen«, hatte Daddy ihr gesagt, »aber mehr dürfen sie auf keinen Fall erfahren. Du stößt anders zu als ich, Kleine. Oder bringst du es vielleicht fertig, daß die Leute … sich so verhalten, wie du willst?«
»Nnn-ein.«
»Aber du kannst Gegenstände beeinflussen, daß sie sich bewegen. Und wenn sie ein Muster erkennen und mit dir in Verbindung bringen würden, wären wir in einer noch viel übleren Lage als jetzt.«
Und es war Diebstahl, und Diebstahl war auch etwas Böses.
Aber das spielte jetzt keine Rolle. Daddy hatte Kopfschmerzen, und sie brauchten einen ruhigen und warmen Platz, bevor es so schlimm wurde, daß er überhaupt nicht mehr denken konnte. Charlie gab sich einen Ruck.
Sie sah insgesamt fünfzehn Telefonzellen, alle mit Rundschiebetüren. Wenn man in der Zelle war, saß man wie in einer großen Kapsel mit einem Telefon. Die meisten Zellen waren unbeleuchtet, erkannte Charlie, als sie an ihnen entlangschlenderte. Eine fette Frau im Hosenanzug hatte sich in eine von ihnen hineingezwängt. Sie redete unablässig und lächelte dabei. Und in der dritten Zelle von hinten saß auf dem kleinen Hocker ein junger Mann in Armeeuniform, dessen Beine durch die geöffnete Tür nach draußen ragten. Er redete schnell.
»Hör zu, Sally, ich verstehe ja deine Gefühle, aber ich kann dir alles erklären. Absolut. Ich weiß … ich weiß … aber laß mich dir doch nur …« Er hob den Kopf und sah, daß das kleine Mädchen ihn beobachtete. Mit einer einzigen Bewegung, wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückzieht, zog er die Beine ein und schloß die Tür. Er streitet sich mit seiner Freundin, dachte Charlie. Wahrscheinlich hat er sie versetzt. Ich würde mich nie von einem Jungen versetzen lassen.
Hallende Lautsprecher. Wie eine nagende Ratte saß ihr die Angst im Nacken. Nur fremde Gesichter. Sie fühlte sich verlassen und sehr klein und war ganz krank vor Kummer, denn sie mußte wieder an ihre Mutter denken. Dies war Diebstahl, aber was machte das schon aus? Ihrer Mutter hatte man das Leben gestohlen.
Sie glitt in die Zelle am Ende der Reihe, und ihre Einkaufstüte knisterte. Sie nahm den Hörer vom Haken und täuschte ein Gespräch vor – Hallo, Großmama, ja, Daddy und ich sind gerade angekommen, ja, alles in Ordnung – und dabei hielt sie durch die Glasscheibe nach Neugierigen Ausschau. Sie sah niemanden. In der Nähe war nur eine Schwarze, die gerade die Police ihrer Flugversicherung aus einem Automaten zog, aber sie drehte Charlie den Rücken zu.
Charlie betrachtete den Münzapparat, um dann plötzlich zuzustoßen.
Vor Anstrengung entfuhr ihr ein kleiner Seufzer, und sie biß sich auf die Unterlippe. Sie mochte es, wenn die sich unter ihren Zähnen verformte. Nein, es tat nicht weh. Es machte Spaß, Dinge in Bewegung zu bringen, und auch das ängstigte sie. Wenn so etwas Gefährliches ihr nun zur lieben Gewohnheit wurde?
Wieder beeinflußte sie ganz behutsam das Telefon, und plötzlich ergoß sich ein Strom von Silbermünzen aus dem Rückgabeschacht. Sie versuchte rasch, ihre Tüte darunterzuhalten, aber als sie es endlich geschafft hatte, lagen die meisten Münzen schon auf dem Boden verstreut. Sie bückte sich und schaufelte das meiste davon in ihre Tüte. Dabei schaute sie immer wieder durch die Scheibe nach draußen.
Als sie das Kleingeld aufgesammelt hatte, ging sie zur nächsten Zelle. Am nächsten Telefon hing immer noch der junge Soldat. Er hatte die Tür wieder geöffnet und rauchte. »Sal, ich sage dir, es stimmt! Frag doch deinen Bruder, wenn du mir nicht glaubst. Er wird …«
Charlie schloß die Tür, um seine leicht weinerliche Stimme nicht mehr zu hören. Sie war erst sieben, aber wenn sie jemanden reden hörte, wußte sie, ob er log oder nicht. Sie konzentrierte sich auf das Telefon, und gleich darauf lieferte der Apparat sein Kleingeld ab. Diesmal hielt sie die Tüte richtig, und die Münzen klimperten melodisch, als sie hineinfielen.
Als sie herauskam, war der Soldat verschwunden, und Charlie schlüpfte in seine Zelle. Der Sitz war noch warm, und trotz des Ventilators roch die Luft ekelhaft nach Zigarettenrauch.
Das Geld rasselte in ihre Tüte, und Charlie machte weiter.
6
Eddie Delgardo saß auf einem der harten Plastikstühle, starrte gegen die Decke und rauchte. Das Miststück, dachte er. Das nächste Mal wird sie es sich zweimal
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