Feuerkind
wieder abflauen, aber sicher wußte man das nicht. Es konnte auch sein, daß der Mann auf einen bestimmten Punkt ansprang und darauf fixiert blieb; wenig später würde er jede Kontrolle verlieren und an nichts anderes mehr denken können; am Ende würde er ganz einfach verrückt werden. Das hatte es schon gegeben.
»Mein Wagen parkt dort«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung.«
»Ach so.« Der Fahrer lächelte erleichtert. »Wissen Sie, das wird Glyn mir nie glauben. Heh! ›Erzähl mir nichts‹, wird sie sagen …«
»Natürlich wird sie es glauben. Sie glauben es doch auch, nicht wahr?«
Der Fahrer grinste breit. »Ich hab’ den großen Schein als Beweis, Mister. Vielen Dank.«
»Ich habe zu danken«, sagte Andy. Er bemühte sich, höflich zu sein. Er mußte durchhalten. Allein wegen Charlie. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er schon lange ein Ende gemacht. Ein Mensch war einfach nicht dazu geschaffen, solche Schmerzen zu ertragen.
»Sind Sie sicher, daß Sie es schaffen, Mister? Sie sind ja leichenblaß.«
»Es geht schon, danke.« Er rüttelte Charlie wach. »Heh, Kleine.« Er vermied es, ihren Namen auszusprechen. Wahrscheinlich hätte es nichts ausgemacht, aber diese Vorsicht war so automatisch wie das Luftholen. »Aufwachen, wir sind da.«
Charlie murmelte etwas und versuchte, sich von ihm wegzurollen.
»Komm, Kleines. Wach auf, Schatz.«
Blinzelnd öffnete Charlie die Augen – diese strahlend blauen Augen, die sie von ihrer Mutter hatte –, setzte sich auf und rieb sich das Gesicht. »Daddy? Wo sind wir?«
»In Albany, Liebling. Am Flughafen.« Er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte: »Sag jetzt nichts.«
»Okay.« Sie lächelte den Taxifahrer an, und der lächelte zurück. Dann glitt sie aus dem Wagen, und Andy folgte ihr, wobei er sich bemühte, nicht zu schwanken.
»Noch mal vielen Dank, Mister«, sagte der Fahrer. »War ‘ne großartige Fuhre.«
Andy schüttelte die Hand, die der andere ihm entgegenstreckte. »Passen Sie auf sich auf.«
»Mach ich. Glyn wird das alles einfach nicht glauben.«
Der Fahrer stieg wieder ein und zog vom gelb gestrichenen Bordstein weg. Wieder startete ein Jet mit aufheulenden Düsen, und Andy hatte das Gefühl, sein Kopf würde in zwei Stücke gespalten, um wie ein hohler Kürbis zu Boden zu fallen. Er schwankte, und Charlie legte ihm die Hände auf den Arm.
»Oh, Daddy«, sagte sie, und ihre Stimme kam von weit her.
»Gehen wir hinein. Ich muß mich setzen.«
Sie betraten die Halle, das kleine Mädchen in roter Hose und grüner Bluse und der große Mann mit zerzaustem Haar und hängenden Schultern. Ein Flughafenangestellter beobachtete sie und dachte, welche Schande es doch sei: da lief dieser große Kerl nach Mitternacht stockbesoffen mit seiner kleinen Tochter herum, die seit Stunden im Bett sein müßte und die ihn führte wie ein Blindenhund. Dann gingen sie durch die elektronisch gesteuerten Türen, und der Angestellte vergaß die beiden, bis er sich vierzig Minuten später wieder an sie erinnerte, als ein grüner Wagen am Bordstein hielt und zwei Männer ausstiegen und ihn ansprachen.
4
Es war zehn Minuten nach Mitternacht: Die Flughafenhalle gehörte nun den Leuten, die schon am frühen Morgen unterwegs waren: Armeeangehörige, deren Urlaub ablief, gequält wirkende Frauen, die ein buntes Durcheinander von übermüdeten Kindern zusammenzuhalten versuchten, junge Leute auf Reisen, einige von ihnen mit Rucksäcken, ein Pärchen mit Tennisschlägern. Die Lautsprecher kündeten Start-und Landezeiten an und riefen einzelne Personen aus.
Andy und Charlie saßen nebeneinander an Tischen mit aufgeschraubten Fernsehgeräten. Die Apparate waren zerkratzt, verbeult und tief schwarz angestrichen. Sie kamen Andy wie unheimliche, surrealistische Kobraschädel vor. Er warf seine letzten beiden Münzen ein, damit niemand sie von den Sitzen scheuchte. Charlies Gerät zeigte eine Wiederholung von Starsky und Hutch, während auf Andys Schirm Johnny Carson mit Sonny Bono und Buddy Hackett um die Wette wirbelte.
»Daddy, muß ich wirklich?« fragte Charlie zum zweitenmal. Sie war den Tränen nahe.
»Honey, ich bin völlig erledigt«, sagte er. »Wir haben kein Geld, und hier können wir nicht bleiben.«
»Kommen die bösen Männer wieder?« fragte sie und ließ die Stimme zu einem Flüstern herabsinken.
»Ich weiß es nicht.« Wieder ein dumpfes Pochen in seinem Gehirn. Es war kein reiterloser Rappe mehr; jetzt waren es mit scharfkantigem
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