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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beschlossen, nicht aufzugeben.
    Er blieb noch sitzen, betastete das Laken und ließ immer wieder die Hände darüber hinweggleiten.
    Stimmte das, oder war es nur ein durch diese plötzliche Vorahnung ausgelöstes Wunschdenken? Würde sich diese Vorahnung bewahrheiten, oder war sie so unecht wie der vermeintliche Brandgeruch und nur durch seine Angst entstanden? Sie war in keiner Weise nachprüfbar, und ganz gewiß war niemand in der Nähe, den er psychisch hätte beeinflussen können.
    Er trank sein Ginger Ale.
    Wenn seine Fähigkeit nun wirklich zurückgekehrt war. Das wäre natürlich kein Allheilmittel; das wußte er selbst am besten. Er konnte seine Fähigkeit viele Male einsetzen, wenn er von ihr vorsichtigen Gebrauch machte, und einige Male konnte er gewaltig zustoßen, bevor er wieder völlig ausgelaugt war. Vielleicht schaffte er es, Charlie zu erreichen, aber er hatte nicht den Schatten einer Chance, mit ihr von hier zu entkommen. Vielleicht würde er sich bei seinen Anstrengungen ganz einfach eine tödliche Gehirnblutung zuziehen (und bei diesem Gedanken fuhren seine Hände automatisch an die Stellen in seinem Gesicht, an denen er keine Empfindung gehabt hatte).
    Dann gab es noch das Problem mit dem Thorazin, das sie ihm ständig gegeben hatten. Die Tatsache, daß seine Dosis überfällig war, als die Lichter ausgingen, hatte, das wußte er, seine Panik mitverursacht. Selbst jetzt, da er sich besser in der Gewalt hatte, brauchte er sein Thorazin, brauchte er das Gefühl der Ausgeglichenheit und Ruhe, das es ihm vermittelte. Am Anfang hatte man ihm das Thorazin vor den Tests zwei Tagelang entzogen. Das Resultat war beständige Nervosität und eine tiefe Depression gewesen, wie dichte Wolken, die nie zu weichen schienen … aber damals war sein Zustand nie so schlimm gewesen wie jetzt.
    »Mach dir nichts vor, du bist drogensüchtig«, flüsterte er.
    Er wußte nicht, ob es wirklich stimmte. Er wußte, daß es körperliche Abhängigkeit, wie die von Nikotin oder Heroin, gab, die physiologische Veränderungen im Zentralnervensystem verursachte. Und es gab seelisch bedingte Abhängigkeit. Bill Wallace, ein Kollege von ihm, wurde immer sehr nervös, wenn er nicht seine zwei bis drei Flaschen Cola am Tag trank, und sein alter Studienfreund Quincey war ganz wild auf Kartoffel-Chips – aber es mußte eine bestimmte, ziemlich unbekannte Marke aus Neu England sein, die Humpty Dumpty hieß; nur diese befriedigte ihn, wie er behauptete. Dabei, so vermutete Andy, handelte es sich um psychologische Süchte. Er wußte nicht, ob sein Verlangen nach der Droge physiologisch oder psychologisch war; er wußte nur, daß er sie brauchte, und das dringend. Allein dadurch, daß er hier saß und an die blaue Pille in dem weißen Napf dachte, hatte er wieder einen wattigen Geschmack im Mund. Sie entzogen ihm die Droge nicht mehr vor den Tests, aber ob es deshalb war, weil sie fürchteten, er könne üble Entzugserscheinungen bekommen, oder ob es ganz einfach zur Testroutine gehörte, wußte er nicht.
    Das Ergebnis war ein auf grausame Weise unlösbares Problem: er konnte seine Fähigkeit nicht ausüben, wenn er mit Thorazin vollgepumpt war, und doch brachte er einfach nicht den Willen auf, die Droge nicht mehr zu nehmen (und wenn sie merkten, daß er sie nicht mehr nahm, würde er sich natürlich gewaltigen Ärger einhandeln). Wenn sie ihm nach diesem Stromausfall wieder die Pille brachten, würde er sie nehmen, und ganz allmählich würde er wieder den Zustand apathischer Ruhe erreichen, in dem er sich befunden hatte, bevor das Licht ausging. Dann wäre dies alles nur ein gespenstischer kleiner Ausflug gewesen. Er würde sich wieder vor sein Fernsehgerät setzen und PDH-Club und Clint Eastwood sehen und dabei zuviel aus dem Kühlschrank naschen, der immer gut gefüllt war. Er würde weitere Pfunde ansetzen.
    (Charlie, Charlie ist in Gefahr, Charlie hat alle möglichen Schwierigkeiten, auf sie wartet eine Welt von Ungemach.)
    Und wenn es so kam, konnte er nichts daran ändern.
    Und selbst wenn er etwas daran ändern könnte, selbst wenn er sich genügend zusammenreißen könnte, daß ihm und Charlie die Flucht gelang – warum, zum Teufel, sollten die Schweine nicht pfeifen und die Bettler nicht zu Pferd sitzen? –, läge eine endgültige Lösung für Charlies Zukunft nach wie vor in weiter Ferne.
    Er legte sich flach ausgestreckt auf das Bett zurück, und der Teil seiner Gedanken, der sich jetzt ausschließlich mit Thorazin

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