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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ich muß hier raus!« Er fing an zu zittern.
    »Wer sind die Vietcong?«
    »Das weißt du nicht? … Nein, du bist noch zu jung. Es war der Krieg, Kleine. Der Krieg in Vietnam. Die Vietcong waren die Bösen. Sie hatten schwarze Pyjamas an. Im Dschungel. Du hast doch schon vom Vietnamkrieg gehört, nicht wahr?«
    Sie hatte davon gehört … aber nur vage. »Wir waren auf Patrouille und gerieten in einen Hinterhalt«, sagte er. Das stimmte, aber an dieser Stelle verabschiedete sich John Rainbird von der Wahrheit. Wozu sie verwirren? Er hätte ihr erzählen können, daß sie alle mit Drogen vollgepumpt gewesen waren. Die meisten der Jungs hatten jede Menge roten Kambodschaner geraucht, genauso wie ihr Leutnant aus West Point, der so viele Mescalintabletten schluckte, daß er ständig eine Gratwanderung zwischen Normalität und Wahnsinn vollführte. Rainbird war Zeuge gewesen, als dieses Schwein mit seinem halbautomatischen Gewehr einmal eine schwangere Frau erschoß, hatte gesehen, wie die Kugeln ihr den sechs Monate alten Fötus aus dem Leib rissen; später hatte der Kerl das ihnen gegenüber als Abtreibung á la West Point bezeichnet. Sie waren auf dem Weg zu ihrer eigenen Stellung und waren auch tatsächlich in einen Hinterhalt geraten, aber das waren ihre eigenen Leute gewesen, die noch schlimmer unter Drogen standen als sie selbst, und vier der Jungs waren gleich tot. Rainbird sah keine Veranlassung, das Charlie zu erzählen, und auch nicht, daß die Mine, die sein halbes Gesicht zerfetzt hatte, in einer Munitionsfabrik in Maryland hergestellt worden war.
    »Nur sechs von uns überlebten. Wir rannten. Wir rannten durch den Dschungel, wahrscheinlich in die falsche Richtung. In die falsche Richtung? Das konnte man nie wissen. In diesem verrückten Krieg gab es ja keine festen Fronten. Ich verlor die anderen aus den Augen. Ich versuchte immer noch, mich zu orientieren, als ich auf eine Mine trat. So geschah das mit meinem Gesicht.«
    »Es tut mir so leid«, sagte Charlie.
    »Als ich aufwachte hatten sie mich geschnappt«, sagte Rainbird, und das war nun wirklich erdichtet. In Wirklichkeit war er mit einem Tropf am Arm in einem Lazarett in Saigon aufgewacht. »Sie wollten mich nicht behandeln lassen, bevor ich ihre Fragen beantwortet hatte.«
    Er mußte vorsichtig sein. Alles mußte überzeugend klingen, vorläufig hatte er das Gefühl, daß sie ihm glaubte.
    Er hob die Stimme und legte seine ganze Verbitterung hinein. »Fragen, immer wieder Fragen. Sie wollten etwas über
    Truppenbewegungen erfahren … Nachschub … wo die leichte Infanterie stand … alles. Sie ließen mir keine Ruhe. Immer wieder setzten sie mir zu.«
    »Ja«, sagte Charlie ganz aufgeregt, und er freute sich.
    »Ich sagte ihnen immer wieder, daß ich nichts wüßte, daß ich ihnen nichts erzählen könnte, daß ich nur ein gewöhnlicher Soldat sei, nur eine Nummer mit Feldgepäck auf dem Rücken. Sie glaubten mir nicht. Mein Gesicht … der Schmerz … ich fiel vor ihnen auf die Knie und bettelte um Morphium … sie sagten, wenn … wenn ich reden würde, könnte ich Morphium bekommen und würde in einem guten Krankenhaus behandelt werden … aber erst müßte ich reden.«
    Jetzt war es Charlie, die seine Hand fester packte. Sie dachte an Hockstetters kalte graue Augen, daran, wie er auf die Metallschale mit den Holzspänen gezeigt hatte. Die Antwort darauf kennst du. Wenn du das anzündest, bringe ich dich sofort zu deinem Vater. Du kannst in zwei Minuten bei ihm sein. Sie empfand Mitgefühl für diesen Mann mit dem so schwer verletzten Gesicht, mit diesem erwachsenen Mann, der sich im Dunkeln fürchtete. Sie meinte zu verstehen, was er durchgemacht hatte. Sie kannte seinen Schmerz. Und in der Dunkelheit fing sie stumm an, um ihn zu weinen, und auch um sich selbst … all die ungeweinten Tränen der letzten fünf Monate. Es waren Tränen des Schmerzes und der Wut, Tränen für John Rainbird, ihren Vater, ihre Mutter und ihr eigenes Schicksal. Brennende, qualvolle Tränen.
    Sie weinte nicht so stumm, als daß Rainbirds Radarohren es nicht registriert hätten.
    Er hatte Mühe, ein weiteres Lächeln zu unterdrücken. O ja, er hatte den Meißel gut angesetzt. Einige waren schwer zu knacken, andere leicht, aber keiner war unmöglich zu knacken.
    »Sie glaubten mir einfach nicht. Zuletzt warfen sie mich in ein Loch unter der Erde, und dort war es immer dunkel. Es war ein kleiner … Raum, würdest du es wohl nennen, mit Wänden aus Erde, aus denen

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