Feuerkind
weg? Hielt sie sich nur verborgen?
(Charlie ist in Gefahr!)
In was für einer Gefahr?
Er wußte es nicht. Aber der Gedanke an sie und die Angst ließen ihr Gesicht ganz deutlich vor ihm erscheinen. Jede Einzelheit sah er in der Dunkelheit vor sich, und das Bild ihres Gesichts, ihre großen blauen Augen, ihr seidiges Blondhaar ließen ein Schuldgefühl n ihm aufkommen … aber Schuld war ein viel zu milder Ausdruck für seine Empfindungen; er empfand eher Entsetzen. Seit die Lichter ausgegangen waren, hatte er sich in dieser verrückten Panik befunden und dabei nur an sich gedacht. Zu keiner Sekunde war ihm eingefallen, daß auch Charlie im Dunkeln hocken mußte.
Nein, sie werden kommen, um sie herauszuholen. Wahrscheinlich haben sie es schon lange getan. Nur Charlie ist ihnen wichtig. Nur an Charlie ist ihnen gelegen. Das klang ganz vernünftig, aber dennoch empfand er diese quälende Gewißheit, daß sie in irgendeiner schrecklichen Gefahr schwebte.
Seine Angst um sie bewirkte, daß seine Panik nachließ, oder er sie doch wenigstens besser beherrschen konnte. Jetzt konnte er die Dinge wieder objektiv wahrnehmen. Als erstes fiel ihm auf, daß er in einer Pfütze Ginger Ale saß. Seine Hosen waren naß und klebrig, und er stöhnte angewidert.
Bewegung. Bewegung war das Mittel gegen die Angst.
Er kniete sich hin, suchte die umgefallene Dose Canada Dry und schleuderte sie weg. Scheppernd rollte sie über die Fußbonfliesen. Er nahm eine zweite Dose aus dem Kühlschrank; sein Mund war immer noch trocken. Er zog den Ringverschluß auf, ließ ihn in die Dose fallen und trank. Plötzlich hatte er denVerschluß im Mund und spuckte ihn gleichgültig in die Dose zurück. Er machte sich keinen Augenblick Gedanken darüber, daß so etwas vorhin noch ausgereicht hätte, bei ihm eine viertelstunde Angst und Zittern auszulösen.
Er suchte tastend den Weg aus der Küche, wobei er die freie Hand an der Wand entlanggleiten ließ. Im Gebäude herrschte wieder völlige Ruhe. Nur gelegentlich hörte man in der Ferne jemanden rufen, aber der Tonfall verriet keine Anzeichen irgendwelcher Aufregung oder gar Panik. Den Qualmgestank hatte er sich eingebildet. Die Luft war nur ein wenig verbraucht, da mit dem Strom auch die Konvektoren ausgefallen waren, aber das war alles.
Anstatt das Wohnzimmer zu durchqueren, wandte sich Andy nach links und kroch in sein Schlafzimmer. Vorsichtig ertasteten seine Hände den Weg zum Bett. Er stellte seine Dose Ginger Ale auf den Nachtschrank und zog sich aus. Zehn Minuten später hatte er sich frische Wäsche und einen anderen Anzug angezogen und fühlte sich viel besser. Er war selbst erstaunt, daß das Ganze ihm gar keine Schwierigkeiten gemacht hatte. Vorher, als er durch sein Wohnzimmer gekrochen war, hatte er noch das Gefühl gehabt, ein Minenfeld überqueren zu müssen.
(Charlie – was ist mit Charlie passiert?)
Aber es war eigentlich nicht das Gefühl, daß ihr etwas zugestoßen sein könnte. Es war das Gefühl, daß sie bedroht war. Er ahnte eine Gefahr für sie. Wenn er bei ihr wäre, könnte er sie fragen, was –
Er lachte voller Bitterkeit. Ja, richtig. Und die Schweine werden pfeifen und Bettler zu Pferd sitzen.
Da könnte ich mir genausogut den Mond in einem Einmachglas wünschen. Da könnte ich genausogut –
Eine Weile dachte er an gar nichts, aber dann fing er wieder an zu überlegen – jetzt aber ruhiger und ohne Verbitterung.
Genausogut könnte ich mir wünschen, Geschäftsleuten zu mehr Selbstvertrauen zu verhelfen.
Ich könnte mir wünschen, dicke Damen in bildschöne Schlankheit hineinzudenken.
Ich könnte mir wünschen, einen der Kerle, die Charlie entführ! hatten, erblinden zu lassen.
Ich könnte mir wünschen, daß meine Fähigkeit zurückkehrt.
Seine Hände beschäftigten sich mit dem Bettlaken, zogen daran, zerknüllten es, glitten darüber hin – es war sein fast unbewußtes geistiges Bedürfnis, ständig Sinnesempfindungen aufzunehmen. Er konnte nicht hoffen, daß seine Fähigkeit, andere psychisch zu beeinflussen, zurückkehren würde. Diese Fähigkeit war einfach weg. Durch diese Fähigkeit konnte er sich den Weg zu Charlie nicht freimachen. Sie war weg. (Wirklich?)
Plötzlich war er sich dessen gar nicht mehr sicher. Etwas in ihm – ganz tief in ihm – hintertrieb vielleicht ganz einfach seine bewußte Entscheidung, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und den Leuten von der Firma entgegenzukommen. Dieses Etwas ganz tief in ihm hatte vielleicht
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