Feuerkind
wenig spät –, wie man das Mädchen unter Kontrolle behalten konnte.
Es wurde vorgeschlagen, ihr Quartier feuersicher zu machen, sie rund um die Uhr zu bewachen und sie wieder unter Drogen zu setzen. Rainbird hatte sich so viel davon angehört, wie er gerade noch ertragen konnte, und dann mit der Einfassung seines schweren Türkisrings hart auf den Konferenztisch geklopft. Er klopfte, bis auch der letzte aufmerksam wurde. Weil Hockstetter ihn nicht mochte (vielleicht wäre »hassen« in diesem Zusammenhang kein übertriebener Ausdruck), mochten ihn auch die übrigen Wissenschaftler nicht, aber dennoch war Rainbirds Stern gestiegen. Schließlich hatte er einen guten Teil jedes Tages mit dieser menschlichen Lötlampe zugebracht.
»Ich schlage vor«, sagte er und erhob sich, um aus seinem zerstörten Gesicht gütig in die Runde zu schauen, »daß wir so weitermachen wie heute. Bisher sind Sie von der Voraussetzung ausgegangen, daß das Mädchen die Fähigkeit gar nicht hat, obwohl sie in zwei Dutzend Vorfällen dokumentiert ist, und daß es sich, falls sie sie hat, nur um eine unbedeutende Fähigkeit handelt. Oder daß sie diese Fähigkeit nie wieder einsetzen würde. Jetzt wissen Sie es besser, und schon wollen Sie wieder anfangen, sie in Aufregung zu versetzen.« »Das stimmt nicht«, sagte Hockstetter verärgert. »Das ist einfach –«
Es stimmt! brüllte Rainbird ihn an, und Hockstetterschrumpfte in seinem Stuhl zusammen. Wieder lächelte Rainbird in die Runde. »Jetzt ißt das Mädchen wenigstens wieder. Sie hat zehn Pfund zugenommen und ist nicht mehr ein dürrer Schatten ihrer selbst. Sie liest, erzählt und malt nach Vorlage; sie möchte ein Puppenhaus haben, und ihr Freund, der Wärter John, hat versprochen, ihr eins zu besorgen. Kurz gesagt, sie befindet sich in einer besseren Verfassung als bei ihrer Einlieferung. Meine Herren, wir wollen uns doch eine so günstige Ausgangslage nicht wieder verderben, oder?«
Der Mann, der die Video-Anlage bedient hatte, sagte zögernd: »Und wenn sie nun ihre kleine Wohnung in Brand gesteckt?«
»Wenn sie das wollte«, sagte Rainbird ruhig, »hätte sie es schon getan.« Darauf antwortete der Mann nicht.
Jetzt, als er und Charlie den Teich hinter sich ließen und auf die dunkelroten Stallungen mit ihren frisch in Weiß gestrichenen Balken zugingen, mußte Rainbird laut lachen. »Ich denke, du hast ihnen tatsächlich Angst gemacht, Charlie.«
»Hatten Sie denn keine Angst?«
»Warum sollte ich Angst haben?« sagte Rainbird und fuhr ihr durchs Haar. »Ich benehme mich nur wie ein Baby, wenn es dunkel ist und ich nicht rauskann.«
»O, John, deswegen brauchen Sie sich doch nicht zu schämen.«
»Wenn du mich anzünden wolltest«, wiederholte er seinen Kommentar vom Vorabend, »hättest du es schon getan.«
Sie zuckte zusammen. »Ich wünschte, Sie würden … würden solche Dinge nicht sagen.«
»Charlie, es tut mir leid. Manchmal rede ich schneller, als ich denke.«
Sie betraten die dunklen Stallungen mit ihrem typischen Geruch. Trübes Sonnenlicht fiel ein und zeichnete Streifen und Muster, und träge schwebten Häckselteilchen in der Luft.
Ein Stallknecht striegelte die Mähne eines schwarzen Wallachs, der eine Stirnblesse hatte. Charlie blieb stehen und schaute mit verzücktem Erstaunen das Pferd an. Der Knecht sah sie und grinste. »Du mußt die junge Dame sein. Man hat dich schon angekündigt.«
»Wie schön sie ist«, flüsterte Charlie. Ihre Hände konnten es kaum erwarten, das seidige Fell zu streicheln. Ein Blick in die sanften, dunklen Augen des Pferdes, und sie hatte sich in das Tier verliebt.
»Nun, eigentlich ist es ein Junge«, sagte der Stallknecht um zwinkerte Rainbird zu, den er noch nie gesehen hatte. »Aber nur eigentlich.«
»Wie heißt er?«
»Necromancer«, sagte der Stallknecht. »Willst du ihn streicheln?«
Zögernd trat Charlie näher heran. Das Pferd senkte der Kopf, und sie streichelte es; dann sprach sie mit ihm. Ihr kann nicht in den Sinn, daß sie ein halbes Dutzend Feuer anzünden würde, um einmal, mit John an ihrer Seite, auf diesem Pferd zu reiten zu dürfen … aber Rainbird erkannte es in ihren Augen und er lächelte.
Sie sah ihn an und bemerkte, daß er lächelte, und sie ließ die Hand sinken, mit der sie das Tier gestreichelt hatte. In seinem Lächeln lag etwas, das ihr nicht gefiel. Dabei hatte sie gedacht, daß sie alles an John mochte. Sie beurteilte die meisten Leute nach ihrem Gefühl und machte sich darüber
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