Feuerkind
sie sich erschreckte. Immerhin hatten sie sich selbst bemüht, die Hemmungen und Kontrollen, die ihrer pyrokinetischen Fähigkeit vorgelagert waren, abzubauen, und das mit bemerkenswertem Erfolg.
»Wo ist Rainbird?« fragte er.
Neary zuckte die Achseln. »Der pfeift in Winnipeg nach seinem Wiesel, soweit ich weiß. Aber für die Kleine hat er dienstfrei. Sie würde ganz schön mißtrauisch werden, wenn er plötzlich aufkreuzte und –«
Das Digitalthermometer an Nearys Kontrollanlage flackerte um einen Grad höher, verhielt und legte dann rasch noch zwei Grad zu.
»Jemand muß hineingehen«, sagte Neary, und jetzt klang seine Stimme ein wenig nervös. »Die Temperatur im Raum beträgt schon vierundzwanzig Grad. Die kann noch bis zum Himmel steigen.«
Hockstetter versuchte, sich darüber klarzuwerden, was zu tun war, aber sein Gehirn schien eingefroren zu sein. Sein Schweiß lief jetzt in Strömen, aber sein Mund war trocken wie eine Wollsocke. Er wollte nach Hause, sich in seinen Sessel setzen und James Bond sehen. Oder sonstwas. Hier wollte er nicht bleiben. Er wollte die roten Zahlen unter dem kleinen Glasviereck nicht mehr sehen und darauf warten, daß sie in Sprüngen von zehn, zwanzig oder hundert stiegen, wie es bei der Schlackenmauer der Fall gewesen war, als sie - Denk nach! rief er sich zur Ordnung. Was tust du denn? Was - »Sie ist gerade aufgewacht«, sagte Neary leise.
Sie starrten beide gebannt auf den Monitor. Charlie hatte die Beine auf den Fußboden gestellt und saß mit gesenktem Kopf auf dem Bettrand, die Handflächen an die Wangen gelegt, das Gesicht von den Haaren verdeckt. Nach einer Weile stand sie auf und ging mit leerem Gesichtsausdruck und halb geschlossenen Augen ins Bad – wahrscheinlich schlief sie noch halb, dachte Hockstetter. Neary legte einen Schalter um, und der Monitor für das Badezimmer war eingeschaltet. Im Licht der fluoreszierenden Röhre war das Bild klar zu erkennen. Hockstetter erwartete, daß sie urinieren würde, aber Charlie blieb an der Tür stehen und sah zur Toilette hinüber.
»Heilige Mutter Maria, sehen Sie sich das an«, murmelte Neary.
Das Wasser im Toilettenbecken hatte angefangen, leicht zu dampfen. Das blieb etwas mehr als eine Minute so (eine Minute und einundzwanzig Sekunden nach Nearys Aufzeichnung), dann spülte Charlie, urinierte, spülte noch einmal, trank ein Glas Wasser und ging wieder ins Bett. Diesmal schien sie leichter und ruhiger zu schlafen. Hockstetter schaute auf das Thermometer und sah, daß die Temperatur um vier Grad gefallen war. Dann sank sie um einen weiteren Grad und lag nur noch ein Grad höher als die normale Temperatur der Räumlichkeiten.
Hocksletter blieb bis nach Mitternacht bei Neary. »Ich gehe zum Schlafen nach Hause. Sie schreiben doch ein Protokoll, nicht wahr?«
»Dafür werde ich schließlich bezahlt«, sagte Neary ungerührt.
Hockstetter fuhr nach Hause. Am Tag darauf schrieb er eine Mitteilung, in der er darauf hinwies, daß jede weitere Information, die man durch weitere Tests vielleicht erlangen mochte, gegen die Gefahr möglicher Risiken abgewogen werden müsse, und daß diese Gefahr, seiner Ansicht nach, schon ungemütlich hoch sei.
12
An diese Nacht erinnerte sich Charlie nur schwach. Sie wußte noch, daß ihr heiß geworden war, daß sie dann aufgestanden war, um die Hitze loszuwerden. Sie erinnerte sich an den Traum, wenn auch nur vage – an ein Freiheitsgefühl,
(Voraus war Licht – das Ende des Waldes, offenes Land, über das sie mit Necromancer für immer dahinrasen konnte) aber auch ein Gefühl der Angst und das Bewußtsein eines Verlustes. Es war sein Gesicht gewesen. Es war von Anfang an John Rainbirds Gesicht gewesen. Und vielleicht hatte sie es gewußt. Vielleicht hatte sie es schon die ganze Zeit
(Die Wälder brennen, tun Sie den Pferden nichts, o bitte, tun Sie den Pferden nichts) gewußt.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hatte bei ihr die vielleicht unvermeidliche Umwandlung von Angst, Verwirrung und Hoffnungslosigkeit in helle, harte Wut eingesetzt.
Er soll uns bloß am Mittwoch nicht über den Weg laufen, dachte sie. Wenn er wirklich getan hat, was Daddy schreibt, soll er mir und Daddy am Mittwoch besser nicht nahe kommen.
13
Später am Vormittag kam Rainbird und rollte seinen Wagen mit Reinigungsmitteln, Scheuertüchern, Schwämmen und Lappen herein. Seine weiße Wärterkleidung hing lose um ihn herum. »Hallo, Charlie«, sagte er.
Charlie saß auf dem Sofa und las in einem mit
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