Feuerkind
allerwenigsten mochte sie die Art, wie er ihr immer wieder das Bild unter die Nase hielt.
»Ja, das war er«, sagte sie noch einmal. »Aber er hatte kein kleines Mädchen bei sich. Ehrlich, Mister, mein Mann wird Ihnen dasselbe erzählen. Er macht den Nachtdienst. Es ist inzwischen so, daß wir uns außer beim Abendessen kaum noch sehen. Er wird Ihnen –«
Der andere Mann kam wieder herein, und mit steigendem Entsetzen sah Lena, daß er in der einen Hand ein Walkie-Talkie und in der anderen Hand einen großen Revolver hielt.
»Das waren sie«, sagte John Mayo. Er war fast hysterisch vor Wut und Enttäuschung. »In dem Bett haben zwei Leute geschlafen. Blonde Haare auf einem Kissen, schwarze auf dem anderen. Diese verdammte Reifenpanne! Zur Hölle mit dieser verdammten Scheiße! Im Bad hängen nasse Handtücher! Sogar die Dusche tropfte noch! Wir haben sie um vielleicht fünf Minuten verpaßt, Ray!«
Er schob seine Waffe ins Schulterhalfter zurück.
»Ich hole meinen Mann«, sagte Lena schwach.
»Nicht mehr nötig«, sagte Ray. Er nahm Johns Arm und ging mit ihm nach draußen. John fluchte immer noch über den platten Reifen. »Vergiß den Reifen, John. Hast du mit OJ düben in der Stadt gesprochen?«
»Ich habe mit ihm gesprochen und er mit Norville. Norville ist auf dem Weg von Albany nach hier, und er hat Al Steinowitz bei sich. Er ist vor knapp zehn Minuten gelandet.«
»Das ist nicht schlecht. Hör zu. Denk einen Augenblick nach. Sie müssen per Anhalter gefahren sein.«
»Das glaube ich auch. Wenn sie kein Auto geklaut haben.«
»Der Kerl ist Englischlehrer. Der könnte nicht einmal Bonbons aus einem Stand in einem Blindenheim klauen. Sie sind auf jeden Fall per Anhalter gefahren. Gestern nacht sind sie von Albany mitgenommen worden. Heute morgen von hier. Ich wette ein Jahresgehalt, daß sie dort an der Straße standen und die Daumen hochhielten, als ich den Hügel raufkroch.«
»Wenn nur dieser verdammte Reifen –« Unglücklich schauten Johns Augen durch die Gläser seiner Nickelbrille. Mit langsamen, trägen Lidschlägen sah er seine nächste Beförderung davonfliegen.
»Zum Teufel mit dem Reifen!« sagte Ray. »Was ist an uns vorbeigefahren? Nachdem wir die Panne hatten – was ist an uns vorbeigefahren?«
John dachte darüber nach, während er sich das Walkie-Talkie wieder an den Gürtel hängte. »Der Lastwagen«, sagte er.
»An den erinnere ich mich auch«, sagte Ray. Er drehte sich um und sah Lena Cunninghams großes Mondgesicht im Fenster des Motelbüros auftauchen. Sie merkte, daß er sie sah, und ließ die Gardine fallen.
»Ziemlicher Klapperkasten«, sagte Ray. »Wenn sie nicht von der Hauptstraße abbiegen, sollten wir sie einholen können.«
»Dann los«, sagte John. »Wir können mit Al und Norville über OJ per Walkie-Talkie in Verbindung bleiben.«
Sie trabten zum Wagen zurück und stiegen ein. Einen Augenblick später schoß der hellbraune Ford mit aufheulendem Motor vom Parkplatz und schleuderte mit den Hinterrädern eine Kiesfontäne durch die Gegend. Lena Cunningham sah ihnen erleichtert nach. Ein Motel zu betreiben, war auch nicht mehr das, was es mal gewesen war. Sie trat vom Fenster zurück, um ihren Mann zu wecken.
8
Während der Ford mit Ray Knowles am Steuer und John Mayo auf dem Beifahrersitz mit fast hundertzwanzig Stundenkilometern die Route 40 entlangjagte (und während eine Karawane von zehn oder elf ähnlich unauffälligen Wagen, sämtlich neuere Modelle, von den Suchgebieten in der Umgebung nach Hastings Glen fuhren), gab Irv Manders ein Handzeichen nach links und bog von der Hauptstraße in eine schlecht geteerte Nebenstraße ab, die ungefähr nach Nordosten führte. Der Lastwagen ratterte und rumpelte die Straße entlang. Auf Irvs Drängen hatte Charlie das meiste aus ihrem Repertoire von neun Liedern vorgesungen, einschließlich solch unverwüstlicher Hits wie »Happy Birthday to You«, »This Old Man«, »Jesus Loves Me« und »Camptown Races«. Das letzte sangen Irv und Andy mit.
Die Straße schlängelte und wand sich durch immer stärker bewaldetes Hügelgelände und führte dann abwärts durch flacheres Land, das bebaut und schon abgeerntet war. Einmal flog ein Rebhuhn aus einem Gebüsch an der linken Straßenseite auf, und Irv rief: »Fang ihn, Mädchen!« und Charlie zielte mit ausgestrecktem Arm, schrie: »Peng-peng-PENG!« und lachte dann unbändig.
Ein paar Minuten später bog Irv in einen Feldweg ein, und eine Meile weiter erreichten sie einen
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