Feuerklingen (First Law - Band 2)
schon Schlimmeres durchgemacht.« Sie sah an ihm hinauf und hinunter. »Und bei Ihnen?«
West wurde plötzlich klar, wie heruntergekommen er aussehen musste. In einen alten Sack hatte er zwei Löcher für die Arme geschnitten und ihn sich über die verdreckte Uniform gezogen, seinen Gürtel fest darübergeschnallt und das klobige Schwert hineingeschoben, sodass es ihm ständig gegen die Beine schlug. Sein vor Kälte zitterndes Kinn war mit einem juckenden Etwas bedeckt, das auf dem Wege war, ein Bart zu werden, und er nahm an, dass seine Gesichtsfarbe irgendwo zwischen Zornesrosa und Leichengrau lag. Er klemmte sich die Hände unter die Achselhöhlen und grinste traurig. »Mir ist kalt.«
»Das sieht man Ihnen an. Sie hätten Ihren Mantel vielleicht besser behalten sollen.«
Zu dieser Bemerkung konnte er nur nicken. Er sah durch die Zweige der Kiefern auf Dows Rücken und räusperte sich. »Es hat Sie doch niemand von denen … belästigt, oder?«
»Belästigt?«
»Na, Sie wissen schon«, sagte er verlegen, »eine Frau unter all diesen Männern, die sind das nicht gewöhnt. Schon allein, wie dieser Dow Sie immer anstarrt. Ich finde …«
»Das ist sehr nobel von Ihnen, Herr Oberst, aber ich mache mir keine Gedanken darüber. Zum einen glaube ich nicht, dass sie mehr tun werden als gucken, und zweitens habe ich schon Schlimmeres als das überstanden.«
»Schlimmer als ihn?«
»In dem ersten Lager, in dem ich war, entwickelte der Kommandant eine Schwäche für mich. Da strahlte meine Haut wohl noch vom guten Leben in Freiheit, nehme ich an. Er ließ mich hungern, um zu bekommen, was er wollte. Fünf Tage ohne Essen.«
West verzog gequält das Gesicht. »Und das war lange genug, um ihn aufgeben zu lassen?«
»Die geben nicht auf. Fünf Tage war alles, was ich aushielt. Man tut, was man eben tun muss.«
»Sie meinen …«
»Was man eben tun muss.« Sie zuckte die Achseln. »Ich bin nicht stolz darauf, aber ich schäme mich andererseits auch nicht. Stolz oder Scham machen einen nicht satt. Das Einzige, was ich bedaure, sind die fünf Tage Hunger, fünf Tage, in denen ich hätte gut essen können. Man tut, was man eben tun muss. Ganz egal, wer Sie sind. Wenn man einmal hungern muss …« Wieder das Achselzucken.
»Und Ihr Vater?«
»Pike?« Sie sah zu dem Sträfling mit dem verbrannten Gesicht, der vor ihnen herging. »Er ist ein guter Mann, aber wir sind nicht verwandt. Ich habe keine Ahnung, was mit meiner echten Familie passiert ist. Vermutlich über ganz Angland verteilt, wenn überhaupt noch jemand lebt.«
»Dann ist er …«
»Wenn man so tut, als ob man verwandt wäre, behandeln einen die Leute manchmal anders. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Wenn Pike nicht gewesen wäre, würde ich vermutlich noch immer in dem Lager Metall härten.«
»Und stattdessen genießen Sie mit uns diesen Ausflug.«
»Tja. Man muss sich mit dem abfinden, was auf einen zukommt.« Sie senkte den Kopf, beschleunigte ihre Schritte und ging zwischen den Bäumen davon.
West sah ihr nach. Sie hatte wirklich Mark in den Knochen, wie die Nordmänner es genannt hätten. Ladisla hätte von ihrer wortkargen Entschlossenheit einiges lernen können. Der Oberst sah über seine Schulter zum Prinzen hinüber, wie er zaghaft mit schmollendem Gesichtsausdruck durch den Morast stapfte. Dann seufzte er, und der Atem gefror vor ihm in der Luft. Offenbar war es zu spät für Ladisla, noch irgendetwas zu lernen.
Ein elendes Mahl aus einem Kanten altem Brot und einer Schale kalter Suppe. Dreibaum ließ sie wieder kein Feuer anzünden, trotz Ladislas Gebettel. Die Gefahr, dann gesehen zu werden, war zu groß. Also saßen sie da und redeten leise in der heraufziehenden Dunkelheit, ein kleines Stück von den Nordmännern entfernt. Reden war gut, schon allein, um nicht ständig an die Kälte, die Schmerzen, die unbequeme Lage zu denken. Schon allein, um die klappernden Zähne ein wenig im Zaum zu halten.
»Sie haben mal erwähnt, dass Sie in Kanta gekämpft haben, Pike? Im Krieg?«
»Das stimmt. Ich war damals Korporal.« Pike nickte langsam, und seine Augen glänzten in seinem zerstörten Gesicht. »Kaum zu glauben, dass uns damals immer zu heiß war, was?«
West gab ein bedauerndes Stöhnen von sich. Es war so nahe an einem Lachen, wie ihm im Augenblick möglich war. »Bei welcher Einheit waren Sie?«
»Ich war im ersten Kavallerieregiment der Königstreuen, unter Oberst Glokta.«
»Aber das war ja auch mein Regiment!«
»Ich
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