Feuerklingen (First Law - Band 2)
das so verstehen, Herr Superior, dass Sie uns verlassen werden?« Ihm brach ein wenig die Stimme.
Vor Entsetzen? Vor Angst? Vor Zorn? Wer könnte ihm all diese Gefühle verübeln?
Der Raum war noch immer größtenteils so wie am ersten Tag, als Glokta in der Stadt angekommen war. Die überragenden Mosaiken, die meisterlichen Schnitzereien, der polierte Tisch, all das leuchtete in der frühen Morgensonne, die durch die hohen Fenster hineinsah.
Der Regierungsrat hingegen ist höchst bedauerlich dezimiert worden.
Vissbruck, dem die Hängebacken über den steifen Kragen seiner bestickten Jacke sackten, und Haddisch Kahdia, der müde auf seinem Stuhl zusammengesunken war, sonst war niemand mehr da. Nicomo Cosca stand in der Nähe, an die Wand nahe dem Fenster gelehnt, und säuberte sich die Fingernägel.
Glokta holte tief Luft. »Der Erzlektor wünscht … dass ich Rechenschaft vor ihm ablege.«
Vissbruck stieß ein kreischendes Kichern aus. »Aus irgendeinem Grund fällt mir dazu das Bild von Ratten ein, die das sinkende Schiff verlassen.«
Eine passende Metapher. Falls Ratten, wenn sie vor dem Ertrinken fliehen wollen, sich stattdessen lieber in einen Fleischwolf stürzen würden.
»Kommen Sie, Herr General.« Cosca ließ den Kopf mit einem leichten Lächeln gegen die Wand sinken. »Der Superior hätte uns gar nicht davon in Kenntnis setzen müssen. Er hätte sich im Schutz der Nacht davonstehlen können, und niemand hätte etwas davon mitbekommen. So hätte ich es gemacht.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich für das, was
Sie
getan hätten, nur wenig Hochachtung fühle«, gab Vissbruck in gehässigem Ton zurück. »Unsere Lage ist kritisch. Die Landmauern sind verloren, und mit ihnen auch jegliche Aussicht darauf, hier länger ausharren zu können. In den Elendsquartieren wimmelt es bereits vor gurkhisischen Soldaten. Jede Nacht unternehmen wir Ausfälle von der Oberstadt. Wir verbrennen einen Rammbock. Wir töten ein paar Wachposten, wenn sie schlafen. Aber jeden Tag schleppen sie mehr Ausrüstung herein. Bald werden sie genug elende Hütten eingerissen und Raum geschaffen haben, um ihre großen Katapulte aufzubauen. Und wenig später, das kann man sich ja denken, wird dann die Oberstadt mit Brandsätzen beschossen!« Er zeigte ruckartig zum Fenster. »Sie könnten von dort vielleicht sogar die Zitadelle erreichen! Und eines Tages wird dann ein Felsbrocken, so groß wie ein Holzschuppen, die Zierde dieses Saales sein!«
»Mir ist unsere Lage durchaus bewusst«, gab Glokta scharf zurück.
Der Gestank von Panik ist in den letzten Tagen so stark geworden, dass selbst die Toten ihn vermutlich riechen.
»Aber die Befehle des Erzlektors sind eindeutig. Kämpfen bis zum letzten Mann. Keine Kapitulation.«
Vissbruck ließ die Schultern hängen. »Eine Kapitulation würde uns vermutlich ohnehin nichts nützen.« Er stand auf, unternahm den halbherzigen Versuch, seine Uniform zurechtzuziehen, dann schob er langsam seinen Stuhl unter den Tisch. Glokta tat er in diesem Augenblick beinahe leid.
Vermutlich verdient er mein Mitleid auch, aber ich habe alles, was ich hatte, an Carlot dan Eider verschwendet, die es vermutlich gar nicht nötig hatte.
»Erlauben Sie, dass ich Ihnen als ein Mann, der das Innere eines gurkhisischen Gefängnisses gesehen hat, einen Rat gebe. Falls die Stadt fallen sollte, dann würde ich Ihnen empfehlen, sich eher das Leben zu nehmen, als in Gefangenschaft zu geraten.«
General Vissbrucks Augen weiteten sich kurz, dann sah er auf den wunderschönen Mosaikboden und schluckte. Als er das Gesicht wieder hob, war Glokta überrascht, ein bitteres Lächeln um seinen Mund spielen zu sehen. »Das war nicht gerade das, was ich mir vorgestellt habe, als ich Soldat wurde.«
Glokta klopfte mit dem Stock gegen sein verkrüppeltes Bein und zeigte selbst ein müdes Grinsen. »Das könnte ich auch sagen. Wie heißt es bei Stolicus? ›Der Anwerbeoffizier verkauft Träume, liefert dann aber Nachtmahre‹?«
»Das erscheint hier wahrlich passend.«
»Falls es Ihnen ein Trost ist, ich vermute, dass mein Schicksal nicht auch nur annähernd so angenehm sein wird wie das Ihre.«
»Ein kleiner.« Damit schlug Vissbruck seine glänzend polierten Hacken zusammen und nahm bebend Haltung an. Er verharrte einen Augenblick darin, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort zur Tür. Seine Sohlen klapperten laut auf dem Boden und verhallten schließlich auf dem Flur.
Glokta sah zu Kahdia hinüber. »Unabhängig von dem, was
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