Feuerklingen (First Law - Band 2)
sich über ihr Gesicht: Die obere Hälfte rund um die Augen, ihre Stirn und ihr Hals waren sonnengebräunt, rund um ihren Mund war alles weiß, und unter der Nasenwurzel sah man eine rosa Druckstelle.
Ihr Gesicht war viel weicher, viel jünger und viel gewöhnlicher, als er vermutet hatte. Glokta hatte plötzlich das absurde, peinliche Gefühl, als sei er unversehens in ein Zimmer geplatzt und habe jemanden nackt überrascht. Beinahe musste er wegsehen, als sie sich hinkniete, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein.
»Bitte.« Ihre Augen sahen feucht, taubenetzt aus, ihre Lippe zitterte, als wollte sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
Ein kleiner Ausblick auf die geheimen Hoffnungen hinter der fiesen Fassade? Oder nur gute Schauspielkunst?
Gloktas Augenlid begann zu zittern. »Es ist nicht für mich selbst«, flüsterte sie beinahe. »Bitte. Ich beschwöre Sie.«
Gedankenverloren rieb er sich mit der Hand den Hals. Als er sie wieder wegnahm, war Blut auf seiner Fingerspitze. Eine ganz feine braune Spur.
Ein Kratzer. Ein Hauch. Nur um Haaresbreite kam ich davon – genauso könnte jetzt mein Blut in diesen schönen Teppich sickern. Um Haaresbreite. Solche kleinen Dinge können ganze Leben verändern. Wieso sollte ich sie retten?
Aber er wusste, warum.
Weil ich nicht viele Menschen rette.
Voller Schmerzen drehte er sich auf der Kiste um, sodass er ihr den Rücken zuwandte, und blieb so sitzen, während er das abgestorbene Fleisch seines linken Beines knetete. Er zog tief die Luft ein. »Na gut«, fauchte er.
»Sie werden es nicht bereuen.«
»Ich bereue es jetzt schon. Ich bin ein verdammter, weichherziger Narr, sobald eine Frau ein paar Tränen vergießt! Und Ihr verdammtes Gepäck tragen Sie gefälligst selbst!« Er sah sich um, hob einen Finger, aber Vitari trug schon wieder ihre Maske. Ihre Augen waren trocken und schmal und entschlossen. Sie sahen aus wie Augen, die nicht einmal in hundert Jahren eine einzige Träne zieren würde.
»Keine Sorge.« Sie riss an der Kette, die an ihrem Handgelenk hing, und die kreuzförmige Klinge sprang vom Truhendeckel wieder in ihre wartende Hand. »Ich reise mit wenig Gepäck.«
Glokta beobachtete, wie sich die Flammen auf der ruhigen Wasseroberfläche der Bucht spiegelten. Hin und her gleitende Fragmente, rot, gelb, weiße Funken auf dem schwarzen Wasser. Frost bewegte die Riemen, ruhig, gleichmäßig, sein bleiches Gesicht halb von den flackernden Feuern der Stadt erleuchtet, ausdruckslos. Hinter ihm hockte Severard, vorgebeugt und mit düsterem Gesicht übers Wasser blickend. Vitari saß hinten, am Heck, und ihr Kopf war lediglich als schattenhafter Umriss zu erkennen. Die Ruderblätter tauchten ins Meer und warfen kleine Wellen auf, fast ohne ein Geräusch. Fast hätte man meinen können, dass sich das Boot gar nicht bewegte, sondern sich vielmehr die dunkle Schattenlinie der Halbinsel in der Dunkelheit von ihnen entfernte.
Was habe ich getan? Ich habe eine Stadt voller Menschen dem Tod oder der Sklaverei überantwortet, und wofür? Für die Ehre des Königs? Dieses geifernden Halbidioten, der kaum seine Gedärme im Griff hat und sein Land schon gar nicht! Für meinen Stolz? Pah. Den habe ich lange schon verloren, zusammen mit meinen Zähnen. Für Sults Anerkennung? Ich werde vermutlich einen Kragen aus Hanf und einen Sturz in die Tiefe dafür ernten.
Jetzt sah er nur noch die schwarze Fläche des Felsens, wie sie sich gegen den dunklen Nachthimmel abhob, gekrönt von den zackenreichen Umrissen der Zitadelle. Die schlanken Türmchen des Großen Tempels erahnte er allenfalls. All das bewegte sich nun hinein in die Vergangenheit.
Wie hätte ich anders handeln können? Ich hätte mit Eider gemeinsame Sache machen können. Und die Stadt den Gurkhisen kampflos überlassen. Hätte das etwas geändert?
Glokta leckte sich bitter über das leere Zahnfleisch.
Der Imperator hätte die Stadt dennoch mit harter Hand gestraft. Sult hätte nach mir geschickt, so wie er es jetzt auch getan hat. Kleine Unterschiede, über die es sich kaum nachzudenken lohnt. Was hat Schickel gesagt? Es sind wahrlich wenige, die eine Wahl haben.
Eine kühle Brise streifte sie, und Glokta zog den Mantel fester um sich, verschränkte die Arme vor der Brust, verzog das Gesicht, während er seinen tauben Fuß im Stiefel hin und her bewegte und versuchte, den Blutfluss wieder in Gang zu bringen. Die Stadt war jetzt nur noch ein Schauer stecknadelkopfgroßer Lichter, weit entfernt.
Es ist
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