Feuerklingen (First Law - Band 2)
Verteidigungsanlagen genau zu untersuchen. Sehr genau. Auch soll ich unbedingt dafür sorgen, dass die Gurkhisen auf der anderen Seite dieser Mauern bleiben. Er hat mich angewiesen, jegliche Maßnahmen zu ergreifen, die mir nötig erscheinen.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Jegliche … Maßnahmen.«
»Was ist das?«, brummte der Lord Statthalter. »Ich verlange zu wissen, was hier vor sich geht!« jetzt hielt Vissbruck das Schreiben in Händen. »Der Erlass des Königs«, hauchte er und wischte sich seine schweißnasse Stirn mit dem Ärmel ab, »von allen zwölf Sitzen des Geschlossenen Rats unterzeichnet. Dieses Dokument verleiht seinem Träger uneingeschränkte Verfügungsgewalt!« Er legte es sanft auf die intarsienverzierte Tischplatte, als ob er Angst hätte, es werde plötzlich in Brand geraten. »Das ist …«
»Wir alle wissen, was das ist.« Magisterin Eider sah Glokta nachdenklich an und strich sich mit einer Fingerspitze über ihre weiche Wange.
Wie ein Kaufmann, der plötzlich erkennt, dass der so unwissend scheinende Kunde sie über den Löffel halbiert hat, und nicht umgekehrt.
»Offenbar wird Superior Glokta nun den Befehl übernehmen.«
»Das würde ich nicht so formulieren, aber ich werde an allen weiteren Treffen dieser Ratsversammlung teilnehmen. Sie sollten dies als die erste von sehr vielen Veränderungen begreifen.« Glokta stieß einen zufriedenen Seufzer aus, als er sich in seinen schönen Stuhl sinken ließ, das pochende Bein ausstreckte und den schmerzenden Rücken ausruhte.
Beinahe gemütlich.
Er sah auf die finsteren Gesichter der Mitglieder des Regierungsrats der Stadt.
Wenn man davon absieht, dass einer dieser liebenswerten Menschen höchstwahrscheinlich ein gefährlicher Verräter ist. Ein Verräter, der bereits das Verschwinden eines Superiors arrangiert hat und der sicher keine Skrupel haben wird, einen zweiten denselben Weg gehen zu lassen …
Glokta räusperte sich. »Nun, General Vissbruck, was sagten Sie gerade, als ich eintrat? Irgendetwas über die Mauern?«
DIE WUNDEN DER VERGANGENHEIT
Die Fehler alter Zeiten«, erklärte Bayaz mit äußerst wichtigtuerischer Stimme, »sollten nur ein einziges Mal gemacht werden. Jegliches Lernen, das von Erfolg gekrönt sein soll, fußt daher auf einem grundlegenden Verständnis der Geschichte.«
Jezal stieß einen rauen Seufzer aus. Wieso es sich der Alte in den Kopf gesetzt hatte, seiner Bildung auf die Sprünge zu helfen, ging über seinen Horizont. Vielleicht lag es an seiner turmhohen Selbstüberschätzung, wie leicht senile Menschen sie zu haben pflegten. Jezal hielt jedenfalls fest an seinem Entschluss fest, sich nichts, aber auch gar nichts beibringen zu lassen, schon gar nicht in der altmodischen Sprache mit all dem Ihr und Euch, zu dem sie inzwischen übergegangen waren.
»… ja, der Geschichte«, wiederholte der Magus. »Und es gibt sehr viel Geschichte in Calcis …«
Jezal sah sich um, war aber nicht im Geringsten beeindruckt. Wenn Geschichte bedeutete, dass alles alt war, dann war Calcis, die uralte Hafenstadt des Alten Kaiserreichs, wirklich von Geschichte durchdrungen. Wenn Geschichte aber mehr umfassen sollte – Erhabenheit, wahre Größe, die das Blut in Wallung brachte –, dann war hier davon keine Spur.
Die Stadt war unübersehbar sorgfältig geplant und angelegt worden, mit breiten, geraden Straßen, die so ausgerichtet waren, dass sie dem Reisenden überwältigende Ausblicke boten. Aber das einst so stolze Stadtbild war über die Jahrhunderte zu einem Panorama des Verfalls geworden. Überall reihten sich verlassene Häuser aneinander, und leere Fenster und Eingänge sahen auf die vernachlässigten Plätze hinaus. Sie kamen an Nebenstraßen vorüber, in denen Unkraut, Schutt und verfaulendes Bauholz den Durchgang versperrten. Die Hälfte der Brücken über den träge dahinströmenden Fluss war eingestürzt und nicht wieder instand gesetzt worden, und ein Großteil der Bäume am Rand der breiten Alleen war abgestorben, verdorrt und von Efeu erstickt.
Buntes Treiben, wie es die Straßen von Adua beherrschte, vom Hafen über die Elendsviertel und bis hoch zum Agriont, war hier nirgendwo zu entdecken. Jezals Heimatstadt mochte mit seinem Gewimmel viel zu vieler Menschen, die dort miteinander lebten, zu laut oder zu voll wirken; aber als er die wenigen blassen Bürger von Calcis durch ihre verfallenden Straßen schleichen sah, die allenfalls von früherer Größe kündeten, hatte er nicht den geringsten
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