Feuerklingen (First Law - Band 2)
erwarten, dass sein Volk der Union viel Zuneigung entgegenbringt, nachdem es in der eigenen Stadt kaum ein besseres Dasein fristet, als man es Sklaven zuerkennt. Könnte er unser Verräter sein?
Oder er?
General Vissbruck machte mit jeder Faser den Eindruck eines treu ergebenen Offiziers, eines Mannes, der für eine Intrige zu viel Pflichtgefühl und zu wenig Einfallsreichtum besaß.
Aber die wenigsten Generäle kommen auf ihre Posten, ohne auf ihren eigenen Vorteil bedacht zu sein, ohne die Räderwerke zu schmieren und ohne ein paar Geheimnisse zu bewahren.
Oder er?
Korsten dan Vurms sah Glokta mit einem so verächtlichen Gesichtsausdruck an, als sei er eine schmutzige Latrine, die er zu benutzen gezwungen war.
Solche wie ihn habe ich schon Tausende von Malen gesehen. Ein arroganter Welpe. Mag sein, dass er der Sohn des Lord Statthalters ist, aber ganz offensichtlich fühlt er sich niemandem gegenüber zur Treue verpflichtet außer sich selbst.
Oder sie?
Magisterin Eider zeigte ein überaus freundliches Lächeln und viel Höflichkeit, aber ihre Augen waren hart wie Diamanten.
Sie sieht mich so abschätzend an wie ein Kaufmann einen unwissenden Kunden. Hinter ihren guten Manieren und ihrer Schwäche für ausländische Mode steckt einiges mehr. Viel mehr.
Oder er?
Selbst der alte Lord Statthalter erschien ihm nun verdächtig.
Hat er wirklich so schlechte Augen und Ohren, wie er vorgibt? Oder blitzt ein Hauch von Schauspielerei in seinen zusammengekniffenen Augen auf, wenn er wissen will, was um ihn herum geschieht? Weiß er jetzt schon mehr als alle anderen?
Glokta wandte sich um und hinkte auf das Fenster zu, lehnte sich an die bestechend schön geschnitzte Säule und sog den überwältigenden Anblick ein, während die Abendsonne sein Gesicht wärmte. Er fühlte bereits, wie sich hinter ihm die Ratsmitglieder ungeduldig rührten und es nicht erwarten konnten, ihn los zu sein.
Wie lange es wohl dauern wird, bevor sie den Krüppel aus ihrem wunderschönen Raum hinausjagen? Ich traue keinem von ihnen. Keinem einzigen.
Er lächelte sarkastisch in sich hinein.
Es ist genau, wie es sein sollte.
Es war Korsten dan Vurms, der als Erster die Geduld verlor. »Superior Glokta«, erklärte er kurz angebunden. »Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie sich hier so ausführlich vorgestellt haben, aber ich bin sicher, dass dringendere Aufgaben auf Sie warten. Wir jedenfalls haben zu tun.«
»Selbstverständlich.« Glokta humpelte übertrieben langsam zum Tisch zurück, als ob er den Raum verlassen wollte. Dann zog er sich unvermittelt einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken; kurz zuckte er zusammen, als der gewohnte Schmerz sein Bein durchfuhr. »Ich werde meine Ausführungen auf ein Minimum beschränken, jedenfalls zunächst einmal.«
»Wie bitte?«, fragte Vissbruck.
»Wer ist dieser Kerl?«, wollte der Lord Statthalter wissen, der seinen Hals vorstreckte und mit seinen schwachen Augen zwinkerte. »Was geht hier vor sich?«
Sein Sohn war wesentlich unverblümter. »Was, zur Hölle, glauben Sie, tun Sie da?«, donnerte er. »Sind Sie verrückt geworden?« Haddisch Kahdia begann leise in sich hineinzulachen. Ob über Glokta oder über die Wut der anderen, das war nicht zu sagen.
»Meine Herren, ich bitte Sie.« Magisterin Eider sprach sanft und geduldig. »Der Herr Superior ist gerade erst eingetroffen und möglicherweise nicht darüber informiert, wie wir hier in Dagoska die Geschäfte führen. Sie müssen verstehen, dass Ihr Vorgänger diesen Besprechungen nicht beizuwohnen pflegte. Wir haben die Stadt seit einigen Jahren erfolgreich regiert, und …«
»Der Geschlossene Rat ist anderer Ansicht.« Glokta hielt den königlichen Erlass zwischen zwei Fingern hoch. Einen Augenblick wartete er, bis alle Anwesenden das schwere rotgoldene Siegel gesehen hatten, dann schnippte er das Schriftstück über den Tisch.
Die anderen sahen misstrauisch zu, als Carlot dan Eider das Papier ergriff, es auseinanderfaltete und zu lesen begann. Sie runzelte die Stirn, dann hob sie eine perfekt gezupfte Augenbraue. »So wie es aussieht, sind wir es, die nicht informiert sind.«
»Zeigen Sie her!« Korsten dan Vurms riss ihr das Schreiben aus den Händen und las. »Das kann nicht sein«, murmelte er, »das kann nicht sein!«
»Ich fürchte doch.« Glokta zeigte der Versammlung sein zahnloses Grinsen. »Erzlektor Sult ist überaus besorgt. Er hat mich beauftragt, das Verschwinden von Superior Davoust aufzuklären und auch die
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