Feuerklingen (First Law - Band 2)
brauchen wir uns nur die Geschichte von Kaiser Schilla anzusehen.« Er blickte zu der marmornen Figur hinauf, deren Gesichtszüge von der Witterung völlig verwaschen waren. »Als in ihm der Verdacht aufkeimte, dass sein Schatzkanzler selbst mit dem Thron liebäugelte, befahl er, den Mann sofort zu töten, sein Weib und seine Kinder zu erwürgen und sein großes Anwesen in Aulcus dem Erdboden gleichzumachen.« Bayaz zuckte die Achseln. »All das ohne den geringsten Beweis. Eine übertriebene und brutale Handlungsweise, aber besser, man schlägt zu stark zu als zu schwach. Besser, man wird gefürchtet denn verachtet. Schilla wusste das. In der Politik ist kein Platz für Sentimentalitäten, versteht Ihr?«
»Ich verstehe nur eins, dass nämlich überall, wohin ich mich auch wende, irgendein alter Esel steht, der mir einen Vortrag halten will.« Das war es, das Jezal dachte, aber er sagte es nicht. Der Anblick eines Praktikals der Inquisition, der vor seinen Augen zerborsten war, war ihm noch in fürchterlich frischer Erinnerung. Welch scheußlich weiches Geräusch das Fleisch dabei von sich gegeben hatte. Wie ihm die heißen Blutstropfen aufs Gesicht gespritzt waren. Er schluckte und sah auf seine Schuhe.
»Ich verstehe«, murmelte er.
Bayaz’ Stimme dröhnte weiter. »Das soll nicht heißen, dass ein großer König zwangsläufig ein Tyrann sein muss! Es sollte stets das erklärte Streben eines Regenten sein, die Liebe des gemeinen Volkes zu gewinnen, denn sie ist mit kleinen Gesten zu erlangen und kann dennoch ein ganzes Leben halten.«
Das wollte Jezal nun aber doch nicht so hinnehmen, egal, wie gefährlich der alte Mann sein mochte. Es war offensichtlich, dass Bayaz keinerlei Erfahrung hatte, wenn es um Politik ging. »Wozu braucht man denn die Liebe des gemeinen Volkes? Die Edelleute haben schließlich das Geld, die Soldaten und die Macht.«
Bayaz verdrehte die Augen zum Himmel. »Die Worte eines Kindes, das sich leicht von einem schlichten Täuschungsmanöver ablenken lässt. Woher kommt denn das Geld der Edelleute, wenn nicht von den Bauern auf dem Felde? Wer sind ihre Soldaten, wenn nicht die Söhne und Töchter des gemeinen Volks? Wodurch haben die Fürsten überhaupt Macht? Nur durch die Folgsamkeit ihrer Untertanen, weiter nichts. Wenn es im Bauernvolk wirklich zu gären beginnt, dann kann diese Macht in erschreckender Geschwindigkeit dahin sein. Nehmen wir einmal das Beispiel des Kaisers Dantus.« Er zeigte zu einer der vielen Statuen empor, deren einer Arm an der Schulter abgebrochen war, während der andere eine dreckgefüllte Hand vorstreckte, auf der sich dichter Moosbewuchs breitgemacht hatte. Der Verlust seiner Nase, an deren Stelle nun ein schmutziger Krater gähnte, hatte Kaiser Dantus auf ewig einen erstaunten Gesichtsausdruck eingetragen, als habe man ihn gerade auf der Latrine überrascht.
»Kein Regent wurde je mehr von seinem Volk geliebt«, sagte Bayaz. »Er begegnete jedem Mann wie seinesgleichen und gab stets die Hälfte seiner Steuereinnahmen für die Armen aus. Aber seine Edelleute verschworen sich gegen ihn und hatten bereits einen aus ihrer Mitte dazu ausersehen, seinen Platz einzunehmen. Sie warfen den Kaiser ins Gefängnis und eroberten den Thron.«
»Ach, tatsächlich?«, brummte Jezal, der geistesabwesend über den leeren Platz blickte.
»Aber das Volk wollte seinen geliebten Monarchen nicht im Stich lassen. Die Menschen erhoben sich, standen auf gegen ihre Herren und ließen sich nicht unterkriegen. Einige der Verschwörer wurden aus ihren Palästen herausgeholt und in den Straßen aufgehängt, die anderen wurden eingeschüchtert, und Dantus kehrte auf den Thron zurück. Ihr seht also, mein Junge, dass die Liebe des Volkes der beste Schutzschild eines Regenten sein kann.«
Jezal seufzte. »Ich würde trotzdem die Unterstützung der Fürsten vorziehen.«
»Ha. Ihre Liebe ist teuer und so unbeständig wie der Wind, der stets aus anderen Richtungen bläst. Habt Ihr nicht schon im Fürstenrund gestanden, Hauptmann Luthar, wenn der Offene Rat tagte?« Jezal runzelte die Stirn. Vielleicht war doch ein Körnchen Wahrheit am Geschwätz des Alten. »Ha. So ist die Liebe der Edelleute. Man kann lediglich versuchen, sie zu entzweien und ihre Eifersüchteleien zu nähren, kann sie dazu bringen, dass sie um kleine Gefallen buhlen, sich selbst ihre Erfolge zuschreiben und vor allem dafür sorgen, dass keiner von ihnen zu mächtig wird und die eigene Herrschaft schließlich infrage
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