Feuerklingen (First Law - Band 2)
Zweifel, welche Umgebung ihm besser gefiel.
»Ihr werdet zahlreiche Gelegenheiten haben, auf dieser Reise etwas zu lernen, mein junger Freund, und ich würde Euch nahe legen, dass Ihr diese Möglichkeiten nutzt. Vor allem Meister Neunfinger hier ist es wert, dass man sich näher mit ihm beschäftigt. Ich könnte mir vorstellen, dass Ihr wirklich sehr viel von ihm lernen würdet …«
Jezal blieb ungläubig der Mund offen stehen. »Von diesem großen Affen?«
»Dieser Affe, wie Ihr ihn nennt, ist im ganzen Norden berühmt. Dort nennt man ihn den Blutigen Neuner. Ein Name, der Angst oder auch Mut in vielen starken Männern auslöst, je nach dem, auf welcher Seite sie stehen. Ein Kämpfer und ein Taktiker von großer Schläue und unvergleichlicher Erfahrung. Er hat vor allem gelernt, dass man nicht alles sagen muss, was man weiß.« Bayaz sah zu dem Genannten hinüber. »Im Gegensatz zu einigen anderen Leuten, die ich kenne.«
Jezal verzog das Gesicht und ließ die Schultern hängen. Er konnte sich nicht vorstellen, was er von jemandem wie Neunfinger lernen sollte, außer vielleicht, wie man mit bloßen Händen aß und damit zurechtkam, sich tagelang nicht zu waschen.
»Das große Forum«, brummte Bayaz, als sie einen weiten, offenen Platz erreichten. »Das pulsierende Herz der Stadt.« Selbst er klang enttäuscht. »Hier trafen sich die Bürger von Calcis, um Handel zu treiben, sich große Spektakel anzusehen, Gerichtsprozesse mitzuverfolgen und über philosophische und politische Fragen zu streiten. In der Alten Zeit drängten sich hier die Menschen Schulter an Schulter bis spät in die Nacht.«
Davon konnte jetzt keine Rede sein. Die große gepflasterte Fläche hätte mit Leichtigkeit fünfzigmal so viele Menschen aufnehmen können, wie sich gegenwärtig zusammengefunden hatten. Die riesigen Statuen, die den Platz säumten, waren fleckig und abgebröckelt, und ihre schmutzigen Sockel neigten sich in die verschiedensten Richtungen. In der Mitte standen vereinzelte Marktstände, die sich wie Schafe bei schlechtem Wetter aneinanderdrängten.
»Ein Schatten seiner alten Größe. Dennoch«, sagte Bayaz und deutete auf die mitgenommenen Statuen, »dies hier sind die einzigen Bewohner, die uns heute interessieren sollten.«
»Tatsächlich? Wer sind sie denn?«
»Die Kaiser vergangener Zeiten, mein Junge, und jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen.«
Jezal stöhnte innerlich. Ihn hatte schon die Geschichte seines eigenen Landes kaum je interessiert; von der eines hinterwäldlerischen Kaffs im äußersten Westen der Welt wollte er noch weniger wissen. »Da stehen aber ganz schön viele«, sagte er.
»Und das sind noch nicht einmal alle. Die Geschichte des Alten Kaiserreichs reicht viele Jahrhunderte zurück.«
»Deswegen heißt es wohl ›alt‹.«
»Versucht nicht, mir dumm zu kommen, Hauptmann Luthar, dazu müsst Ihr schon früher aufstehen. Während Eure Vorväter noch nackt herumliefen, sich mit Gesten verständigten und Schlamm anbeteten, lenkte mein Meister Juvens hier die Geburt einer großen Nation, einer Nation, die in Ausdehnung und Reichtum, in Wissen und Größe bis heute nicht ihresgleichen gefunden hat. Adua, Talins, Schaffa, sie alle sind nur ein Schatten der wundersamen Städte, die einst im Tal des großen Aos gediehen. Dies hier ist die Wiege der Zivilisation, mein junger Freund.«
Jezal sah sich zwischen den zerbröckelnden Statuen, den verwitterten Bäumen und den schmutzigen, einsamen, vernachlässigten Straßen um. »Was ist schiefgegangen?«
»Das Scheitern einer großen Sache ist nie einfach zu erklären, aber wo Erfolg und Ruhm herrschen, gibt es stets auch Scheitern und Beschämung. Und dann entsteht zwangsläufig Eifersucht. Neid und Stolz führen allmählich zu ersten Auseinandersetzungen, dann zu Fehden, dann zu Kriegen. Zwei große Kriege endeten in schrecklichen Katastrophen.« Er ging mit energischem Schritt auf die Statue zu, die ihnen am nächsten stand. »Aber aus Katastrophen kann man in der Regel seine Lehren ziehen, mein junge.«
Jezal zog eine Grimasse. Noch mehr Lehren brauchte er jetzt ungefähr so nötig wie Schwanzfäule, und er wollte auch keinesfalls Bayaz’ Junge sein, aber sein schlecht gelauntes Schweigen brachte den Alten nicht davon ab, weiter zu salbadern.
»Ein großer Herrscher muss unbarmherzig sein. Wenn er eine Drohung gegen sich oder seinen Herrschaftsanspruch spürt, dann muss er schnell zuschlagen, ohne Zögern und Bedauern. Als Beispiel
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