Feuerklingen (First Law - Band 2)
dann Luthar, dann Neunfinger. Quai schnalzte mit den Zügeln, und der Karren setzte sich in Bewegung. Ferro ging als Nachhut hinterdrein.
»Überhaupt keine Hilfe!«, rief ihr der Soldat nach, bevor er sich wieder gegen die unverputzte Steinmauer seiner Hütte lehnte.
Die große Ebene.
Eigentlich hätte es gutes Land zum Reiten sein sollen, ein Land, das einem ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Ferro hätte einen Feind schon auf Meilen sehen können, aber sie erspähte niemanden. Nur den endlosen Teppich hohen Grases, das im Wind hin und her wogte und sich in jede Richtung bis zum weit entfernten Horizont erstreckte. Einzig der Pfad unterbrach die Gleichförmigkeit dieser Gegend, eine Linie aus kürzerem, trockenerem Gras, unterbrochen von Flecken nackter, schwarzer Erde, die sich schnurgerade über die Ebene zog.
Ferro gefiel das nicht, diese endlose Gleichförmigkeit. Während sie weiter ritten, sah sie mit finsterem Gesicht immer wieder nach links und rechts. In den Wüsten Landen von Kanta war die nackte Erde voller Orientierungspunkte – zerklüftete Felsblöcke, ausgedörrte Täler, vertrocknete Bäume, die klauenartige Schatten warfen, entfernte Spalten in der Erde, die voller Schatten waren, oder helle Höhenrücken, die in Licht getaucht wurden. In den Wüsten Landen von Kanta wäre der Himmel über ihnen leer gewesen, eine helle Schüssel, die nichts anderes enthielt als die blendende Sonne am Tag und die leuchtenden Sterne in der Nacht.
Hier war alles seltsam verkehrt.
Der Boden war ohne jegliche Unterscheidungsmerkmale, aber am Himmel herrschte ständig Bewegung und Durcheinander. Hoch aufgetürmte Wolken dräuten über der Ebene, Dunkelheit und Licht glitten in riesenhaften Spiralen ineinander und fegten mit dem beißenden Wind über das Grasland. Sie veränderten ihre Form, drehten sich, rissen auseinander und fanden wieder zusammen, und dabei warfen sie riesenhafte, fließende Schatten auf die geduckt daliegende Erde, als drohten sie, die sechs winzigen Reiter und ihren winzigen Karren mit einem Regenguss hinwegzuwaschen, der die ganze Welt vernichten würde. Sie hingen über Ferros verkrampften Schultern, als habe der göttliche Zorn Gestalt angenommen.
Es war ein seltsames Land, in dem es für sie keinen Platz gab. Sie brauchte Gründe, um hier zu sein, und zwar gute. »He du, Bayaz!«, rief sie und schloss zu dem Magus auf. »Wohin reiten wir?«
»Hm«, knurrte er und sah mit gerunzelter Stirn über das wogende Gras von einem Nichts zum anderen. »Wir reiten westwärts über die Ebene, überqueren dann den großen Aos und reiten weiter zu den Geborstenen Höhen.«
»Und dann?«
Sie sah, wie sich die schwachen Fältchen um seine Augen und über seiner Nasenwurzel vertieften, während seine Lippen schmal wurden. Er war verärgert. Ihm gefielen ihre Fragen nicht. »Dann reiten wir weiter.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Den ganzen Winter und bis in den Frühling«, erklärte er kurz angebunden. »Und dann müssen wir zurück.« Er stieß seinem Pferd die Absätze in die Weichen und ließ es einen Schritt schneller gehen, bis er wieder an der Spitze der kleinen Gruppe ritt und Ferro hinter ihm zurückblieb.
Sie ließ sich jedoch nicht so schnell abwimmeln. Nicht von diesem durchtriebenen alten Rosig. Stattdessen spornte sie ihr Pferd ebenfalls an und holte ihn wieder ein. »Was ist das Erste Gebot?«
Bayaz warf ihr einen scharfen Blick zu. »Was weißt denn du darüber?«
»Nicht genug. Ich habe gehört, wie du mit Yulwei darüber gesprochen hast, durch die Tür.«
»Du hast gelauscht, was?«
»Ihr habt laute Stimmen, und ich habe gute Ohren.« Ferro zuckte die Achseln. »Ich stülpe mir keinen Eimer über den Kopf, bloß damit ihr eure Geheimnisse wahren könnt. Was ist das Erste Gebot?«
Die Furchen auf Bayaz’ Stirn wurden noch tiefer, und die Mundwinkel zogen sich nach unten. Wut. »Eine Beschränkung, die Euz seinen Söhnen auferlegte, das erste Gesetz, das nach dem Chaos der Alten Zeit aufgestellt wurde. Es ist verboten, die Andere Seite zu berühren. Es ist verboten, mit der Unterwelt in Kontakt zu treten, Dämonen zu rufen oder die Tore der Hölle zu öffnen. Dies ist das Erste Gebot, die Richtlinie aller Magie.«
»Pffft«, schnaubte Ferro. Ihr bedeutete das alles nichts. »Wer ist Khalul?«
Bayaz’ dichte Brauen zogen sich weiter zusammen, sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, und seine Augen wurden schmal. »Haben deine Fragen denn gar kein Ende, Weib?«
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