Feuerklingen (First Law - Band 2)
sich am liebsten gekratzt, aber er wusste, dass es ihn dann nur an zehn weiteren Stellen jucken würde, auf den Schulterblättern und am Hals und überall dort, wo man mit einem gebogenen Finger kaum hinkam. Er schloss die Augen, und sein Kopf senkte sich langsam unter der Last seiner Verzweiflung, bis sein nasses Kinn auf der nassen Brust lag.
Es hatte geregnet, als er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Daran
erinnerte er sich jetzt mit schmerzhafter Deutlichkeit. Die Schwellung in ihrem Gesicht, die Farbe ihrer Augen, die Art, wie sie den Mundwinkel auf einer Seite nach oben zog. Wieder stieg der Kloß in seiner Kehle auf, den er wohl zwanzigmal am Tag hinunterschluckte. Gleich morgens war es das Erste, woran er dachte, und abends, wenn er sich auf dem harten Boden zum Schlafen hinlegte, war es das Letzte. Jetzt bei Ardee zu sein, sicher und warm, schien ihm die Erfüllung all seiner Träume.
Er fragte sich, wie lange sie wohl warten würde, wenn die Wochen verstrichen, ohne dass sie etwas von ihm hörte. Vielleicht schrieb sie jetzt schon täglich Briefe nach Angland, die ihn nie erreichten? Briefe, in denen sie ihren zärtlichen Gefühlen Ausdruck verlieh. Briefe, in denen sie darum flehte, etwas von ihm zu hören. Um Antworten. Ihre schlimmsten Befürchtungen würden sich alle bestätigen – er war ein treuloser Idiot, ein Lügner, der sie schon vergessen hatte, dabei war das doch überhaupt nicht wahr. Er biss verzweifelt die Zähne zusammen, wenn er darüber nachdachte, aber was konnte er tun? Er konnte ihr keine Antwort aus dieser verwünschten, verdammten, verödeten Ebene schicken, noch nicht einmal, wenn es ihm trotz des Dauerregens gelungen wäre, eine zu schreiben. Innerlich verfluchte er die Namen von Bayaz und von Neunfinger, von Langfuß, und Quai. Er verfluchte die ganze verdammte Unternehmung. Es wurde ein Ritual, das er stündlich wiederholte.
Jezal dämmerte es ganz allmählich, dass er bisher ein sehr leichtes Leben geführt hatte. Es erschien ihm jetzt seltsam, dass er sich so laut und ausdauernd über das frühe Aufstehen beklagt hatte, um zum Fechtunterricht zu gehen, oder über die unsagbare Zumutung, mit Leutnant Brint Karten zu spielen, oder darüber, dass seine Würstchen morgens immer ein bisschen zu gut durch waren. Er hätte mit leuchtenden Augen lachen und springen sollen, einzig und allein deswegen, weil er keinen Regen ertragen musste. Er hustete und schniefte, dann wischte er sich mit der wund geriebenen Hand die Nase. Bei so viel Wasser merkte wenigstens niemand, dass er heulte.
Nur Ferro sah aus, als ob sie noch weniger Spaß an der ganzen Reise hätte als er. Wenn sie von Zeit zu Zeit zu den dauerregnenden Wolken hochsah, stand Hass und Entsetzen in ihrem Gesicht geschrieben. Ihr stacheliges Haar war flach an den Kopf geklatscht, ihre durchweichte Kleidung hing schlaff von ihren knochigen Schultern, Wasser lief über ihr narbiges Gesicht und tropfte von ihrer spitzen Nase und von ihrem spitzen Kinn. Sie sah aus wie eine schlecht gelaunte Katze, die ganz unerwartet in einen Teich getunkt worden war und deren Körper unter Verlust all ihrer Bedrohlichkeit plötzlich nur noch ein Viertel der früheren Größe zu haben schien. Vielleicht konnte ihn eine weibliche Stimme ein wenig aus seiner Niedergeschlagenheit reißen, und Ferro war auf hundert Meilen die Einzige, die zumindest theoretisch als weiblich durchging.
Er lenkte sein Pferd neben das ihre und versuchte zu lächeln, woraufhin sie ihn mit dem üblich bösen Blick ansah. Jezal stellte unbehaglich fest, dass sie auf kurze Distanz doch noch recht bedrohlich wirkte. Er hatte ihre Augen vergessen. Gelbe Augen, messerscharf, mit stecknadelgroßen Pupillen, seltsam und beunruhigend. Er wünschte jetzt, sich ihr gar nicht genähert zu haben, aber da er das nun einmal getan hatte, konnte er wohl kaum wieder Abstand halten, ohne etwas zu sagen.
»Da, wo Ihr herkommt, regnet es wohl nicht so viel, was?«
»Hältst du dein verdammtes Maul, oder muss ich dir erst weh tun?«
Jezal räusperte sich und ließ sein Pferd allmählich hinter dem ihren zurückfallen. »Verrückte Hure«, flüsterte er leise. Verdammt, dann sollte sie doch in ihrem Elend ersticken. Er würde nicht anfangen, sich in Selbstmitleid aufzulösen. Das war ja nun gar nicht seine Art.
Der Regen hatte endlich aufgehört, als sie die Stelle erreichten, aber noch immer hing schwere Feuchtigkeit in der Luft, und der Himmel über ihnen war erfüllt von seltsamen
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