Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
(Türkisch-Islamischer Kulturverein) steht mit leuchtend roten Buchstaben auf
der Ladenscheibe. Als er den unscheinbaren Raum betritt, ist die Luft vom
Zigarettenqualm zum Schneiden dick. Eine Gruppe Männer hat sich um einen
rustikalen Holztisch mit grünem Wachstuch geschart. Die Älteren tragen alle die
traditionelle Takke (Häkelmütze), die Jüngeren haben meistens schwarze
Baseballkappen auf, einige mit dem Schirm nach hinten. In der linken Ecke
dominiert ein Fernseher mit 70-cm-Bildschirm die quadratische Ladenfläche. Das
Spiel läuft bereits. Das braune Linoleum weist einige Löcher auf. An den
nackten Wänden hängen nur die drei Fahnen der großen Istanbuler Vereine, Galatasaray , Fenerbahce und Beikta . Der junge Türke setzt sich zu den anderen
und bestellt einen Çay. Gerade schlägt Ayhan Akman einen haargenauen Steilpass
aus dem Mittelfeld in den Strafraum. Arif Erdem stoppt den Ball mit der Brust.
Der springt ihm zu weit vom Fuß, und Eindhoven stürmt in zwei Zügen über den
linken Flügel nach vorn.
Im
selben Moment nimmt Gülcan aus seinem Augenwinkel eine Schattengestalt wahr,
die draußen vor der Ladenscheibe steht. Instinktiv fährt sein Kopf herum. Die
Gestalt ist verschwunden. Er will sich wieder dem Fußballspiel zuwenden, als
jemand die Eingangstür aufreißt. In hohem Bogen wird etwas Glänzendes in den
Raum geworfen. Die Tür fällt mit einem Knall ins Schloss, gleichzeitig schlägt
eine Plastiktüte dumpf auf dem Boden auf, schlittert an die Wand und prallt
wieder zurück. Sie bleibt direkt vor seinen Füßen liegen. Etwas Undefinierbares
zeichnet sich im Inneren ab, milchig weiß und rot verschmiert. Er kann es nicht
identifizieren, beugt sich herab und sieht, dass es Blut sein könnte. Ohne
weiter zu überlegen springt er auf, ist mit mehreren Sätzen an der Tür, reißt
sie auf und stürzt auf die Straße. Nichts. In beide Richtungen ist niemand zu
sehen. In der Ferne hört er Schritte, die über das Kopfsteinpflaster
davonrennen. Er steht einen Moment angespannt in der Tür, kann sich aber nicht
aufraffen, die Verfolgung aufzunehmen. Das Geräusch verliert sich.
Der
ist nicht einzuholen, denkt er.
Ein
paar erleuchtete Fenster in den alten Backsteinhäusern werfen etwas Licht in
das Dunkel der Gasse. Vor zwei Tagen war Neumond. Er geht zurück in den Laden.
Einer der jungen, baseballbekappten Türken kniet vor der Plastiktüte, die am
oberen Ende mit einem Knoten verschlossen ist. Die anderen stehen um ihn herum.
Die aufgeregte Stimme des Sportreporters aus dem nunmehr verwaisten Fernseher
kommentiert die Szene aus dem Hintergrund. Als der Jugendliche das
zusammengezogene Plastik mit den Fingern lösen will, dreht sich die Tüte. Katil (Mörder), fünf schwarze, mit einem Filzstift geschriebene Buchstaben, springen
ihm ins Auge. Erschrocken zucken seine Hände zurück.
» Katil! Auf der Tüte steht Katil! «
» Katil! – Katil! – Katil! «, flüstert ein Mann nach dem anderen das
Wort.
Gülcan
legt die Tüte auf den Tisch und nestelt mühsam so lange an dem Knoten herum,
bis er sich öffnen lässt und schüttet den Inhalt aus. Eine erstarrte,
blutverschmierte Hand fällt auf das Wachstuch. Unter der wachsähnlichen Haut
schimmern die blauen Adern.
» Schaitan (Teufel)!«, schreit er auf.
Die
Männer weichen unwillkürlich zurück. Sie starren stumm auf Gülcan Bayar, als
wenn er das Grauen in den Raum geholt hätte. Der Sportreporter meldet, dass
Eindhoven gerade in Führung gegangen ist.
*
Das Telefon klingelt. Swensen sitzt regungslos auf dem Sofa und starrt an
die Wand. Der digitale Klingelton schrillt viermal durch den Raum, dann springt
der Anrufbeantworter an.
»Hallo,
was ist los bei dir? Wir sind seit Sonntag aus dem Urlaub zurück. Heute ist
Mittwoch, und ich hab noch keinen Piep von dir gehört. Du rufst sofort an, wenn
du nach Hause kommst, Jan Swensen!«
Annas
ärgerlicher Unterton war nicht zu überhören. Wenn sie seinen vollen Namen
ausspricht, weiß Swensen aus Erfahrung, dass Alarmstufe Rot herrscht. Dazu
blinkt das rote Licht des Anrufbeantworters monoton vor sich hin. Trotzdem
rührt er sich nicht. Jede Bewegung erscheint ihm plötzlich viel zu mühsam. Er
möchte einfach sitzen bleiben und die Buddha-Natur erlangen, einfach so. Vor
ihm erscheint die kleine, hutzlige Gestalt von Lama Rhinto Rinpoche, der mit
dem runden Kopf listig hin und her wackelt und ihn mit seinen geschwungenen
Lippen anlächelt.
Jeder
Versuch, sich die Buddha-Natur
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