Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
elektrisiert und willenlos in seinen Bann gezogen. Er trieb hin und
weg im Hier und Jetzt , leuchtete vor Van Goghs Sternenhimmel im Museum
of Modern Art , vibrierte nach auf Mülltonnendeckeln getrommelten, schwarzen
Rhythmen, sprühte bei Annas Dessousshopping um 22.00 Uhr im überfüllten GAP .
Mitten in der Nacht standen sie Arm in Arm am Hotelfenster im 47. Stock und
schauten durch die hell erleuchteten Glasfassaden in die menschenleeren Büros
gegenüber. Den ganzen Tag über hatte die Stadt zu ihnen gesprochen, an einer
Ecke italienisch, dort spanisch, da schwedisch, chinesisch, arabisch und sogar
deutsch.
Swensen merkt, wie sein Gesicht feucht wird. Ein feiner Sprühregen
nieselt vom Himmel. Zum zigsten Mal stürzen die Türme vor seinem inneren Auge
in sich zusammen. Abrupt wandelt sich die Staubwolke in einen Sandsturm, rast
über ihn hinweg und eine weite Wüstenebene erstreckt sich bis zum Horizont.
Mittendrin wächst ein neuer Turm in den Himmel, Babel.
›Sie
werden nicht ablassen von allem, was sie sich vornehmen zu tun. Wohlauf, lasset
uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner des
anderen Sprache verstehe!‹
»Wir
sollten unseren Geist von den unbeherrschten, weltlichen Handlungen wie
sinnloses Gerede fernhalten«, hört er die Stimme seines Meisters. »Die innere
Kraft kommt aus dem schinä , wie wir Tibeter sagen, dem Geist der in
Frieden (schi) verweilt (nä).«
Swensen weiß, dass er sich einen Ruck geben muss, sonst wird er in seiner
selbst erzeugten Schwermut hängen bleiben. Wie ferngesteuert setzt er seine
ersten Schritte, an den Beamten vorbei, durch den Kassenbereich bis in den
hinteren Teil des Supermarkts. In Höhe der Fleischtheke entdeckt er Hollmann im
Gespräch mit einem Kollegen der Spurensicherung. Er winkt und eilt auf ihn zu.
»Na,
könnt ihr schon was sagen?«
»Das
Übliche, Jan! So wie das hier aussieht, hat der Kerl sich nach Geschäftsschluss
vom Personal einschließen lassen. Er hat die Tür zum Büro aufgebrochen und den
Tresor in Ruhe mit ’ner Flex aufgemacht. Danach ist er zum Fenster raus.«
»Der
Alarm ist um 6.13 Uhr losgegangen! Brauchte der eine ganze Nacht, um den Tresor
aufzukriegen?«
Hollmann
zuckt mit den Achseln. Der Mund unter seinem buschigen Schnauzer verzieht sich
zu einem Grinsen.
»Gute
Frage! Bloß die Spurensicherung kann da wohl kaum weiterhelfen. Das ist dein
Job, mein Lieber. Ich sage nur, die Wege der Ganoven sind unergründlich!«
»Dauert’s
noch lange bei euch?«
»Nee,
wir kehren nur die letzten Spuren zusammen, und dann sind wir schon weg!«
»Okay,
ich werde der Belegschaft grünes Licht geben, bevor der Chef ihnen wegen
Arbeitsverweigerung kündigt«, sagt Swensen süffisant und schlendert gemächlich
zum Eingang.
»Haben
alle Damen und Herren, die hier arbeiten schon ihre Aussage gemacht?«
»Ja,
haben sie!«, meldet sich der Filialleiter und drängelt einige Personen zu
Seite, um sich an Swensens Seite zu heften. Er schwitzt. »Wir müssen jetzt
sofort aufmachen. Wer kommt denn für den Verkaufsausfall auf? Was meinen Sie,
was ich von der Geschäftsleitung zu hören kriege!«
»Lieber
Herr Schudt, wir liegen in den letzten Zügen. Atmen Sie nochmal durch, gleich
kann’s hier losgehen!«
Er drückt
dem dicken Filialleiter die Hand und geht über die nass glänzende Teerdecke zum
VW-Bus hinüber.
Zehn
Minuten später steuert Silvia Haman den Wagen über die B 5 in Richtung Husum.
Hinter der Abfahrt Reimersbude hängt sie hinter einem Getränkelaster fest.
Swensen schweigt und schaut ins Leere.
»Geht’s
dir nicht gut?«, fragt Silvia, während sie am Hänger vorbei auf den
Gegenverkehr schielt. Er schreckt auf.
»Wie
kommst du denn da drauf?«
»Du
wirkst seit deinem Urlaub irgendwie abwesend!«
»Nach
dem was passiert ist, wohl kein Wunder, oder?«
»Du
meinst die Sache mit Amerika?«
»Sicher!
Mir steckt das ziemlich in den Knochen. Ein Wahnsinn! Die Welt wird nie mehr so
sein, wie sie war.«
»Das
Leben geht weiter, Jan! Ich finde, es wurde höchste Zeit, dass die Amerikaner
einen auf den Deckel kriegen.«
Swensen
sieht ungläubig zu Silvia hinüber, sagt aber nichts. Die guckt stur geradeaus
und trommelt mit der rechten Hand aufs Lenkrad.
»Denk
nur an Hiroshima! Da haben die Amerikaner mit einem Schlag über 60.000 Menschen
ermordet!«
»Wir
wissen viel zu wenig von dem, was wir wissen. Meinst du, wir sollten Leiden
gegen Leiden aufwiegen?«
Silvia
hat eine Lücke
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