Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
männliche
Ausstrahlung. Dazu noch diese winzigen Wangengrübchen. Das hatte schon etwas
zutiefst Sinnliches.
»Vor
nicht ganz einer Woche, am 19. September, wurde in das türkische Kulturzentrum
in der Westerende die abgetrennte Hand eines südländischen Mannes geworfen. Wir
wissen, dass diese Hand noch bis kurz vor der Tat in einer Gefriertruhe oder in
einem Gefrierraum gelegen haben muss. Außerdem gehen wir davon aus, dass der
Mann, dem die Hand fehlt, zum Zeitpunkt der Abtrennung noch gelebt hat. Er wird
aber höchstwahrscheinlich an den Folgen dieser Verletzung verstorben sein.
Unsere Ermittlungen haben bis zum heutigen Tag zu keiner brauchbaren Spur
geführt. Wir wenden uns deshalb an die Presse, um Hinweise aus der Bevölkerung
zu erhalten.«
»Gibt
es Fotos von der Hand?«
»Die
gerichtsmedizinischen Fotos haben keinen zwingenden Informationswert!«
»Sie
wollen, dass der Artikel möglichst viele Menschen erreicht? Der Leser braucht
etwas Gänsehaut!«
»Wir
geben keine Fotos raus! Ende der Durchsage! Gibt es Fragen?«
»Kann
es sich bei der Tat um Schutzgelderpressung handeln?«
»Für
uns gibt es keine Anzeichen, die dafür sprechen!«
»Drogenhandel?«
»Keine
Anzeichen!«
»Ein
Familienstreit unter Türken?«
»Ich
sagte bereits, wir verfügen über keine heiße Spur. Ich bitte Sie deshalb, in
Ihren Artikeln nicht zu spekulieren. Meine Dame und meine Herren, schreiben Sie
so feinfühlig wie möglich, sonst könnte nur unnötige Ausländerfeindlichkeit
geschürt werden!«
Heeh,
meine Dame. Er spricht mich persönlich an, dachte sie und fauchte gleichzeitig
mit scharfer Stimme: »Wenn Sie uns nichts sagen, können wir auch nichts
schreiben!«
»Mehr
als die von mir erwähnten Fakten gibt es nicht!«
»Dürftig,
äußerst dürftig!«
Die
aberwitzigste Pressekonferenz, die ich je erlebt hab, erinnert sich Maria.
Echte Realsatire. Vier popelige Journalisten gegen drei ahnungslose
Kripobeamte. Zugegeben, eine abgeschlagene Hand ist per se keine üble Story.
Aber ohne was drumrum. Da gibt’s doch nichts zu schreiben.
Selbst
der sonst so gesprächige Hauptkommissar Swensen, zu dem sie durch den Mordfall
an ihrem Kollegen Rüdiger Poth einen ganz guten Draht entwickeln konnte, wirkte
nach dieser Pressekonferenz wie abwesend. Mit Rändern unter den Augen hatte er
nur dagesessen und war die gesamte Zeit stumm wie ein Fisch geblieben.
Maria
schaut erschrocken auf den leeren Teller. Die Pizza ist verschwunden, und die
Journalistin kann sich nicht erinnern, wie sie eigentlich geschmeckt hat.
Was
kann man aus so mageren Fakten schon zaubern? Ein Mord ohne Leiche? Warum wird
eine abgeschlagene Hand in diesen unscheinbaren Türkenladen geworfen? Soll da
jemand eingeschüchtert werden? Vielleicht würde es helfen, wenn ich diese
Unstory ein wenig aufpeppen würde.
Maria
blättert ihr rotes Notizbuch durch. Sie erinnert sich an eine alte Recherche
über türkische Jugendliche in Schleswig-Holstein. Think Big hielt ihren
Artikel seinerzeit für politisch unkorrekt.
Aber
heute ist heute, denkt sie. Es hat in der Zwischenzeit diesen Irrsinns-Anschlag
in New York gegeben.
»Schleichende
Islamisierung unter jungen Türken? Da läuten bei mir alle Alarmglocken, liebe
Frau Teske! Das ist Wasser auf die Mühlen der ewig Gestrigen. Woher haben Sie
das alles, was Sie da behaupten?«, hatte der Chefredakteur gepoltert, als sie
ihm den Artikel zu lesen gegeben hatte.
»Ich
hab nur gut recherchiert. Über Wochen ’ne Menge Jugendliche befragt und dann
eins und eins zusammengezählt.«
Das
hatte alles gestimmt, bestätigt sie sich selbst ihre Erinnerung. Das waren
immerhin über zweihundert Türken zwischen vierzehn und achtzehn Jahren gewesen,
die ich befragt hatte, garantiert! Weit über fünfzig Prozent gaben damals zu,
dass sie ihr Selbstvertrauen einzig und allein aus dem Islam schöpfen. Gegen
frühere Umfragen, die ich vorher gelesen hatte, war das eine klar zunehmende Tendenz
einer Islamisierung.
Maria
überlegt angestrengt, wie sie das Ergebnis ihrer alten Recherche mit diesem
vermeintlichen Mordfall zusammenbringen könnte.
Wenn
ich zum Beispiel den Artikel damit beginnen würde, dass es eine unübersehbare
religiöse Agitation unter jugendlichen Muslimen in Deutschland gibt und dass
Hass, Intoleranz und Gewaltbereitschaft dadurch wesentlich höher geworden sind,
um anschließend auf die abgeschlagene Hand aus dem Türkenladen zu kommen,
könnte vielleicht noch etwas draus werden. Oder vielleicht
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