Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
gibt es bei euch andere Erkenntnisse?«
Die
beiden schütteln stumm die Köpfe.
»Keine
Hinweise auf Blutrache.«
»Ziehen
Sie da nicht etwas voreilige Schlüsse, Kollege Swensen?«, fragt Colditz.
»Das
finde ich auch«, bestätigt Jacobsen den Flensburger. »Gleich ab dem Balkan ist
niemandem mehr zu trauen. Diese Bagage dort bringt sich doch jeden Tag
gegenseitig um.«
»Rudolf,
verschone mich bitte damit«, zischt Swensen. »Ich war grade im Urlaub in der
Türkei.«
»Da
würde ich auch nicht hinfahren. Ich kann auf diesen Multi-Kulti-Kram liebend
gerne verzichten. Kann mir hier mal einer überzeugend erklären, warum ein
Deutscher einem Türken die Hand abhacken sollte?«
»Kannst
du mir erklären, warum ein Deutscher ein Kind missbraucht?«, fragt Swensen
zurück.
»Was
soll das Gestreite? Unsere Hand besitzt noch nicht mal eine Nationalität«, sagt
Colditz.
*
Die mittelgroße Frau mit der struppigen Kurzhaarfrisur kramt unwirsch in
ihrer Handtasche. Endlich findet sie in ihrem angehäuften Krimskrams die
Schachtel Cohiba Minis . Maria Teske zieht sie heraus, entnimmt ein
Zigarillo, zündet es an und studiert gleichzeitig die aufgeschlagene
Speisekarte. Sie inhaliert süchtig den milden Havanna Tabak. Im Historischen
Braukeller ist es noch leer.
»Einmal
Pizza Mare und eine Apfelschorle!«, gibt sie knapp ihre Bestellung auf und
spielt dabei nervös mit der schwarz-gelben Zigarillopackung, auf der der
Schattenriss eines Frauenkopfs mit Pferdeschwanz prangt. Jemand hat eine Husumer
Rundschau auf der Sitzbank liegengelassen. Sie nimmt die Zeitung und klappt
sie auf. Im Artikel unter der Schlagzeile: ›IRA bricht Waffenstillstand‹ steht
etwas von einem bewaffneten Mann, der in der Nacht vom 24. auf den 25.
September in Belfast mit einem automatischen Gewehr auf die Polizei und Häuser
von Protestanten gefeuert hat. Nach Angaben der Sinn Féin sollen daraufhin
Brandbomben auf Wohnungen von Katholiken geworfen worden sein.
Maria
verdreht die Augen. Gibt es nicht schon genügend Irrsinn auf der Welt, denkt
sie, faltet die Zeitung sofort wieder zusammen und zieht ihr kleines, rotes
Notizbuch aus der Handtasche.
Ihr
Chef Think Big , wie der Chefredakteur der Husumer Rundschau unter
Kollegen heimlich genannt wird, hatte am Morgen wieder seinen ausgezeichneten
Riecher für Storys bewiesen.
»Hauptkommissar
Jean-Claude Colditz leitet heute Nachmittag eine Pressekonferenz der Husumer
Kripo«, hatte er mit hochrotem Kopf in die Redaktionsrunde geworfen. Sein
Blutdruck schien sich mal wieder in Schwindel erregender Höhe zu befinden.
»Das
kann doch nur ätzend werden«, hatte Maria aufgestöhnt. »Wahrscheinlich geben
die wieder eine ihrer langweiligen Kriminalstatistiken zum Besten. Meines
Wissens ist in den letzten Tagen nichts Spektakuläres in unserer Stadt
passiert!«
»Meines
Wissens ist Colditz Hauptkommissar bei der Flensburger Mordkommission. Ich frage
mich, was macht der ohne einen Mord in Husum?«
»Mord?
Da hätten wir doch was läuten hören!«
»Wer
weiß, wer weiß! Maria, mach dich auf die Socken und schau dir das aus der Nähe
an!«
Und
richtig! Der alte Fuchs lag wieder goldrichtig, denkt sie, während Pizza und
Schorle kommen. Sie schneidet sich gierig ein großes Stück aus dem belegten
Teig, schiebt es in den Mund und schlingt es mit rasantem Tempo herunter.
Wir
sind alle nur auf dem Weg zum Friedhof, warum also die Eile, besinnt sie sich
auf ihren ewigen Vorsatz, genussvoller zu essen. Den zweiten Bissen kaut sie
demonstrativ langsamer und sieht den dunklen Ratssaal im Rathaus von vorhin vor
sich.
Ohne
Schwierigkeiten hatte sie einen Platz in der ersten Reihe ergattert, denn außer
ihr waren nur drei weitere Journalisten erschienen. Der Flensburger
Hauptkommissar war ihr gleich angenehm aufgefallen, obwohl sie am Rande
mitbekommen hatte, dass er ziemlich grantig über die spärliche Resonanz gewesen
war. Das schmale rechteckige Gesicht, das fast unbeweglich in den Raum blickte,
gab ihm etwas geheimnisvoll Überlegenes.
Stille
Wasser sind tief, hatte sie noch gedacht. Ein echtes Pokerface.
»Aus
ermittlungstechnischen Gründen wenden wir uns erst heute an die Presse«, hatte
der Kripomann die Pressekonferenz nach knapper Begrüßung eröffnet.
Maria
konnte längere Haare bei Männern zwar nicht leiden, aber bei diesem Flensburger
Kommissar war sie ohne weiteres bereit, eine Ausnahme zu machen. Die großen,
braunen Augen und der breite Mund hatten für sie eine extrem
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